Erde zu Erde
Die nach der Vorlage Shakespeares komponierte Verdi-Oper «Macbeth» feierte gestern Abend eine fulminante Premiere am Theater St.Gallen. Sopranistin Libby Sokolowski brillierte in ihrer Debut-Rolle als Lady Macbeth und bildete trotz Knieverletzung souverän das Zentrum kriegerischer Intrigen. Geführt vom Gastdirigenten Carlo Goldstein blieb dank der dramatischen Musik auch das Publikum nicht ganz unversehrt, das sich erschüttert und begeistert zugleich, von Bühnenteam und Orchester mit Standing Ovations verabschiedete.
Fluch der Machtgier
Der berühmte Fluch, wie er über Verdis Oper «La forza del destino» schwebt, scheint bei der gestrigen Premiere auch bei «Macbeth» am Theater St.Gallen seine Wirkung entfaltet zu haben. So berichtet Theaterdirektor Jan Hendrik Bogen in seiner Unheil ankündigenden Einleitung von Atemwegserkrankungen, die durch die aktuelle Grippewelle die Solistinnen und Solisten gebeutelt hat. Doch davon nicht genug, denn gleichzeitig werden die Kriegsversehrtheiten aus dem Libretto mit echten Verletzungen schmerzhaft authentisch veranschaulicht. Auch deswegen bat die Direktion höflich um Nachsicht. Die Nachsicht wandelt sich beim Publikum während der Vorstellung jedoch in Hochachtung. Geäussert in Bravo-Rufen und Standing Ovations für die unter schwersten Bedingungen erbrachten Höchstleistungen des Teams auf der Bühne.
Zur Macht verführt
Guiseppe Verdis Oper "Macbeth" gibt es in zwei Versionen, einer italienischen und einer zweiten für die Pariser Oper. Beide basieren minutiös auf der Shakespeare-Vorlage aus der Renaissance. Die ursprüngliche Fassung wurde 1847 am Teatro della Pergola in Florenz uraufgeführt. Für das Theatre-Lyrique in Paris 1865 schrieb der Komponist später eine revidierte Fassung. Das Leitungsteam in St.Gallen bediente sich für die gestrige Inszenierung aus beiden. Während sie die Spätere als Basis nahm, in die sie einige schauspielerische Interventionen und das Finale aus dem ursprünglichen Teil eingefügt haben.
Shakespeares Vorlage beschreibt eine für die damalige Zeit wagemutige Geschichte von Macht, Gewalt und fehlende Ethik. Indem er die Figuren seines Dramas stark an die Elisabethanische Epoche anlehnte, für die er seine Stücke aufführte und ihr dazu seinen moralischen Stempel aufdrückte, bewegte er sich auf Messers Schneide. Nicht ungefährlich!
Dass das Zentrum aller männlichen Herrschenden eine weibliche Herrscherin wie sie Elisabeth I. war, nämlich die eigentliche Leitfigur Lady Macbeth, mag deshalb nicht verwundern. Alle anderen Frauenfiguren aus dem Stück wurden in Verdis Opernfassung entfernt und als Hexen in eine mystische Ecke gedrängt. Die einzige Macht, die Frauen damals zustand. Sie werden auf diese Weise, quasi aus dem Hinterhalt zu den wahren Schuldigen allen Unglücks gebrandmarkt, durch die herrschende Männerfiguren zur Gier nach Besitz und Macht verführt werden.
Die Hexen prophezeien Macbeth, eines Tages König von Schottland zu werden. Seine Lady entflammt dadurch in unstillbare Gier nach Macht. Sie drängt ihren Mann dazu, der Weissagung nachzuhelfen, indem er den herrschenden König Duncan ermordet. Da die Weissagung voraussagt, dass der Thron Bancos Erben zufallen soll, beschliesst er auch diesen ermorden zu lassen. Das Blut an den Händen des Herrscherpaars lässt sich jedoch mit nichts abwaschen, weshalb beide in einer Verkettung von Gewalt und Schuld schliesslich dem Wahnsinn verfallen.
Debutrolle
Libby Sokolowski zeigt sich in ihrer Debutrolle trotz Knieverletzung als stimmgewaltige Lady mit dramatischem Vibrato die, bis sie zuletzt vom Wahnsinn ermattet, keinerlei Schwächen zeigt. Auch Vincenzo Neri, dessen Stimme von der Grippe angeschlagen sei, lässt kaum Anderes hören als starke Passagen und Arien. Ein in ihren Stimmfarben passendes Paar, das in homogenenem Zusammenspiel sang und agierte! Mit königlicher Bühnenpräsenz und geübtem Bariton präsentiert sich David Maze als Duncan. Sein General Banco, durch Brent Michael Smiths melodischem Bass vertont, verkörpert zusammen mit weiteren Darstellern das bindende Glied in der durchtriebenen Kriegsmaschinerie.
Die Erde und ihr ewiger Kreislauf
Inszenierung und Bühnengestaltung bewegen sich nicht nur auf der Bühne zwischen den Welten. Sie begeistern damit auch die Seelen mehrerer Generationen. Der auffallend grosse Anteil an jüngeren Menschen unter 60 Jahren lässt jedenfalls an diesem Abend definitiv für eine Fortführung der Opernkultur hoffen.
Christian Lada und Lars Uten erinnern mit ihrer Ausstattung wage an die Probensituation eines fahrenden Zirkus, in der das Element Erde als zentrales Symbol dasteht. Erde als Trophäe für gewaltsam erobertes Land. Sie wird dem Königshaus als Ehrerbietung vor die Füsse geschüttet, auf dem dieses seine Macht aufbaut und unter der es wie alles Leben unweigerlich begraben wird. Markanter Sinn und Sinnlosigkeiten begleiten damit Hand in Hand das Geschehen, um das sich die Erde dreht. Ein Zirkus wiederkehrender Ereignisse lässt über Sinn und Unsinn menschlichen Tuns nachdenken. Auf einer technisch ausgeklügelten, aber nahezu neutralen Bühnengrundlage bewegen sich die Figuren in der opulenten Kostümierung von Adrian Bärwinkel. Die Publikums-Augen werden damit ruhevoll auf das Wesentliche fokussiert. So auch die Ohren. Die klar gegliederte und auf eine Oper angepasste Inszenierung von Christian Lada erlaubt den Solistinnen und Solisten nämlich, ihre volle Kraft auf die anspruchsvollen Arien zu konzentrieren. Aber auch der für eine Verdi-Oper verhältnismässig komprimierte Chor muss hohen Erwartungen genügen und den Saal mit wenig Stimmen ausfüllen, während er das Geschehen in berührender Darstellung umrahmt.
Ein bisschen Star Wars
Bei aller Tragik blitzen aber auch humorvolle Fragmente in der Interpretation bei Kostüm und Inszenierung auf. Zwar bewegen beide sich getreu der Vorlage, wenn auch in die heutige Zeit transportiert. Einige Elemente, wie etwa die an Chewbacca erinnernde Fellverkleidung des Männerchors als bewegter Wald, drei goldmaskierte Bodybuilder als Königsnachfolger und die Neonleuchten assoziieren mit einiger Fantasie aber auch futuristische Bilder aus den Filmtrilogien Star Wars. Das Drama von Krieg und Gewalt lässt sich eben in jede Epoche transportieren, solange die Gier nach Macht herrscht. Auch diesmal beweist das Dreisparten-Theater einmal mehr, dass sich eine kleine Reise in den Nordosten des Landes lohnt.
Weitere Aufführungen bis zum 26. Januar 2026
Infos und Tickets
Carmela Maggi, 2. Februar 2025
Bildrechte: Theater St.Gallen
