Liebe im Schatten der Macht
Nach einem Jahr Exil durften Konzert und Theater St.Gallen ihre Festspiele wieder auf dem Klosterhof eröffnen. Unter perfekten Wetterbedingungen gab das Team mit der Oper "Tosca" zum zwanzigsten Mal den Auftakt zu einer Reihe sehenswerter Aufführungen. Mit grossem technischem Aufwand bietet die Tribüne vor den Türmen des Weltkulturerbes einen stimmungsvollen, intimen Rahmen mit Nähe zu den Bühnenfiguren. Von Puccinis wundervoller Musik unter der Leitung von Giuseppe Mentuccia getragen, erzählen Solisten und Chöre, zwischen Einsätzen halsbrecherischer Stunts, die oft erzählte Liebesgeschichte im Schatten von Machtmissbrauch, Verrat und blutigem Machismo.
Atto primo: Recondita armonia
Cavaradossi (Jorge Puerta) arbeitet in der Kirche an einem Fresko von Maria Magdalena, als der flüchtige Gefangene Cesare Angelotti (Jonas Jud) bei ihm Unterschlupf sucht. Trotz des Wissens um die drohende Gefahr, gewährt der Künstler seinem Freund Zuflucht. Kurz darauf erscheint Floria Tosca (Libby Sokolowsky), gefeierte Sängerin und Geliebte Cavaradossis, deren leidenschaftliche Eifersucht die Szene dominiert. Der Künstler, hingerissen von seiner Muse ebenso wie von seiner Kunst, bekräftigt ihr seine Liebe. Doch das zärtliche Wechselspiel wird jäh gestört, als der machtbesessene Polizeichef Scarpia (Alexey Bogdanchikov) ins Geschehen tritt. Ein Mann, dem es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Besitz geht. Vielmehr betrachtet er Tosca als Kriegstrophäe und setzt eine skrupellosen Plan in Gang.
Drama und Kälte in der ausgeklügelten Bühnengestaltung von Martin Hickmann greifen im Laufe des milden Abends auf die Gemüter in der Tribüne über. Immer hoffnungsloser der Ausgang einer abgekarteten Geschichte, bei der die Hauptfigur Tosca als Opfer die Führung übernimmt. Libby Sokolowsky glänzt in ihrer aufreibenden Titelrolle mit charakteristischem Stimmvolumen und Vibrato, mit dem sie den rivalisierenden Herren gehörig Paroli bietet. Jorge Puerta nimmt dabei mit der berühmten Tenorarie E lucevan le stelle die grosse Bürde vergangener Grössen souverän auf sich und schmetterte zur Freude des Publikums die ganze Zartheit und Tragik des Moments in den Nachthimmel. Auch der junge Bariton Alexey Bogdanchikov überzeugte in seiner greisenhaften Rolle stimmlich wie spielerisch.
Atto secondo: Vissi d'arte
Angelotti wird entdeckt, Cavaradossi verhaftet und gefoltert. Tosca, erschüttert und verzweifelt, erlebt in der Arie Vissi d’arte ihren innersten Bruch. Ich lebte für die Kunst, ich lebte für die Liebe, besingt sie in der Arie ein Bekenntnis, das ihre persönliche Weltanschauung offenlegt, bevor sie endgültig in den Abgrund blickt. Scarpia verspricht, Cavaradossi zu verschonen, wenn Tosca sich ihm hingibt. Ihr Glaube an eine höhere Ordnung wird endgültig zerstört. Zerrissen zwischen Abscheu und Not trifft sie eine Entscheidung, deren Folgenschwere sie noch nicht erahnt.
Der argentinische Opernregisseur Marcos Darbyshire legt in seiner Inzenierung den Finger auf einen empfindlichen Nerv der politischen Gegenwart. In Toscas ohnmächtigem Widerstand spiegelt sich die Ausgeliefertheit des Einzelnen gegenüber einem System, das auf Machtgier und Zynismus beruht. Die vermummten Schergen, die sich bereits vor Vorstellungsbeginn unter das Publikum mischen, vermitteln eine eindringliche Ahnung davon, wie es sich anfühlt unter Angst und Terror leben zu müssen.
Te Deum
Toscas jäher Zorn entlädt sich in der Tötung Scarpias, nach dem in einem makabren Kontrast das feierliche Te Deum ertönt. Tosca glaubt, mit ihrer Tat das Schicksal gewendet zu haben. Als letztes Liebesbekenntnis arrangiert sie ein fingiertes Erschiessungskommando, das Cavaradossi das Leben retten soll. Ein Hoffnungsschimmer, der sich als trügerisch erweist.
Der junge Dirigent Giuseppe Mentuccia, dessen Ausbildung an der Accademia Santa Cecilia in Rom ihren Anfang nahm, führt das Sinfonieorchester St. Gallen mit sicherer Hand. Trotz seines jugendlichen Alters kann er bereits auf eine beachtliche Karriere mit Engagements an der Met und der Wiener Staatsoper zurückblicken. Mit Tosca kehrt er musikalisch zu seinem Ausgangspunkt zurück, das wie kaum ein anderes die Dramatik des römischen Schauplatzes mit persönlichen Schicksalen verwebt. Sein Dirigat spricht eine klar differenzierte und zugleich eine spannungsreiche Sprache, ohne die emotionalen Höhepunkte zu überfrachten. Die Chöre wurden in diesem Jahr gekürzt und singen ohne Unterstützung des Prager- und des Winterthurer Chors. Mit der Einstudierung von Filip Paluchowski fügen sich die Einsätze des Theaterchors, des Opern- und Kinderchors des Theaters St.Gallen dennoch präzise und überzeugend in das musikalische Gesamtbild.
Atto terzo: E lucevan le stelle
In der Morgendämmerung erinnert sich Cavaradossi in E lucevan le stelle an die Schönheit des Lebens voll Liebe, Licht und Drama, das er gleich verlieren wird. Eine der ergreifendsten Tenorarien der Opernliteratur als Abgesang auf das Glück in einer Welt der Intrige. Als sich die vermeintlich inszenierte Hinrichtung als reale Exekution entpuppt, zerbricht Toscas Hoffnung endgültig. Was als Rettung gedacht war, endet in Ohnmacht.
Annemarie Bullas Kostüme verleihen der Inszenierung nahezu majestätische Akzente in denen sich vor allem Toscas Erscheinung über die Kälte des grauen Elends erhebt, das sie umgibt. Aber auch die wiederkehrenden Chorauftritte sind visuell durchgestaltet. Mit immer neuer Aufmachung passen sie sich dramaturgisch in die laufende Szenerie ein.
Finale
Floria Tosca stürzt sich in den Tod.
Es folgt ein halsbrecherischer Stunt, ermöglicht durch den, vom Publikum unbemerkten Wechsel der Darstellerin, nachdem beide ihren Schlussapplaus in Empfang nehmen können. Die Standing Ovations gelten jedoch der gesamten Besetzung mit den drei Hauptrollen und nicht zuletzt dem Orchester. In ausverkauften Rängen feiert das Publikum eine der zwanzig legendären Aufführungen, für die das Theater St. Gallen in den Festspielen steht. Vor der Kulisse der Kathedrale entstand auch dieses Jahr eine eindrucksvolle Atmosphäre, die sich, dank Anselm Fischers ausgeklügelter Lichttechnik, homogen mit der Bühne verbindet. Nähe zu Geschehen und Sängerinnen ermöglichen auch die präzise Platzierung von Bühne und Raum. Dadurch entsteht trotz aufwändiger Produktion eine Aufführung mit intimem Flair, eindringlich und gegenwärtig. Ein Besuch lohnt sich jedoch nicht nur für die Oper, sondern auch im Hinblick auf das spartenumgreifende Programm der Festspiele.
Weitere Aufführungen bis zum 4. Juli 2025 vorgesehen: Tickets und Infos
Carmela Maggi
21. Juni 2025

Bildrechte: Theater St.Gallen