Biedermann und die Brandstifter - Theater St.Gallen
Brandgefährliche Verblendung
Die Premiere von Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" ist am heutigen Abend im Umbau des Theaters St.Gallen fast ausverkauft. Von Christina Rast amüsant in Swiss Made inszeniert, präsentiert sich das Lehrstück, nicht zuletzt dank fulminanter Schauspielkunst, provokant und gleichsam eindringlich. Veranschaulicht dessen ernsten Hintergrund samt der Lehre, dass es aus der Geschichte dann doch nichts zu lernen gibt.
Ja, ja, hinterher sei man immer schlauer, deklamiert Gottlieb Biedermann in seinem finalen Fazit. Wer hatte es denn kommen sehen, wer denn anders gehandelt, als er, der Menschenfreund, der unlängst durch die Kündigung seines Kellners dessen Suizid verschuldet und jetzt mit fest verschlossenen Augen zwei Brandstifter gütigst aufgenommen und auch noch durchgefüttert hat? "Was hätten Sie denn getan, Herrgott nochmal, an meiner Stelle? Und wann?"
Bis zum Schluss glaubt er an die Richtigkeit seiner Überzeugungen und denkt, dass es doch nur die Anderen erwischt habe. Halt eben nichts gelernt!
Fast ausverkauft ist die vom Publikum gefeierte Premiere im "Umbau" des Theaters St.Gallen. Das Haupthaus wird die Wiedereröffnung wegen der Verzögerung des geplanten Anbaus wohl um eine Saison auf 2023 verschieben müssen. Nur gut, dass sich die Zeit durch das hochwertige Provisorium noch etwas länger überbrücken lässt. Die 540 Sitze sind am heutigen Abend jedenfalls annähernd voll, was bei einer Schauspielaufführung gar nicht so oft vorkommt. Das Publikum, in das sich mehrere gebildete Gruppierungen mischen, wurde bei der hervorragenden Umsetzung nicht enttäuscht und verliert sich bei der Premierenfeier hier und da in reflektierende Diskussionen.
Knall auf Fall
Mit einem Knall und dem Fall der Seitenwand öffnet sich die Szenerie im Hause Biedermann. "Aufhängen sollte man sie, hab ich's nicht immer gesagt? Schon wieder eine Brandstiftung!", wettert Haarwasserfabrikant Gottfried Biedermann (Diana Dengler) von der Zeitung gewarnt. An seiner Seite die nicht ganz so herzkranke Ehefrau Babette, charmant und ebenso eindrücklich von Anna Blumer ins Leben gerufen.
Wie rotbekappte Wichtel erscheinen einem im Gegensatz dazu der sechsköpfige Feuerwehrchor, der bei der Nachtwache tief in die Biergläser schaut und dabei heimattreue Lieder singt. Einheitlich und bis zur Unkenntlichkeit geschminkt umsäumen die hochkarätigen Schauspieler des Hausensembles Christian Hettkamp, Bruno Riedl, Matthias Albold und Marcus Schäfer, zusammen mit den nicht minder talentierten, jüngeren Kolleginnen Tabea Buser und Pascale Pfeuti, die Szenerie wie ein Schatten. Aufmerksam beobachten sie jede Bewegung und schaffen es doch nicht, die Familie vor der drohenden Katastrophe zu bewahren.
Auf den Kopf gestellt
Was klein anfängt, wird später gross. Und so werden aus einem Brandstifter plötzlich zwei, aus einem Benzinfass auf dem Dachboden plötzlich ganz viele. Indem sie die Bewohner fein säuberlich in ihre eigene Selbstgefälligkeit einwickeln, erschleichen sich die Komplizen Schmitz und Eisenring deren Vertrauen, was ihnen für ihr teuflisches Vorhaben freie Bahn eröffnet.
Regisseurin Christina Rast spielt bei den Rollenbesetzungen gekonnt mit Geschlechtertausch. Was bei Gottlieb Biedermann und Ganove Eisenring besonders gut gelingt und zudem recht gut zu Max Frischs Gesinnung passt, Dinge zur besseren Veranschaulichung auf den Kopf zu stellen.
Ehre für die fulminanteste Schauspielleistung gebührt dabei in erster Linie Diana Dengler, die es in der Titelrolle nicht nur schafft, Gestik und Mimik eines alternden Mannes perfekt umzusetzen. Sie veranschaulicht ebenso eindringlich und mit urkomischem Talent die politische Dummheit des Bürgers, der selbstgerecht, zu bequem und ängstlich ist, um gegen die Obrigkeit anzutreten. Inwiefern sich die Lehre auf die aktuellen Ereignisse adaptieren lassen, sei jedem selbst überlassen. Auch Anja Tobler legt als Komplize Eisenring, zusammen mit dem Brandstifter Schmitz, gespielt von Tobias Graupner eine witzige und gleichzeitig tiefgründige Interpretation aufs Parkett. Markant und grossartig mit dabei auch die Leistung von Birgit Bücker als Hausangestellte Anna.
Quell-Frisch
Ohne das Traditionelle zu zerstören, begleitet die Bühnenausstattung von Franziska Rast die Handlung mit hintergründigem Schmunzeln, spielt auf ihren Werbeplakaten "quellfrisch - Ein Schweizer Produkt" gar mit Namen und Herkunft des Dramatikers. Dabei hilft auch die Beleuchtung von Andreas Enzler, das Spektrum der Möglichkeiten kreativ zu erweitern.
Das Gesamtwerk des Zürcher Schriftstellers Max Frisch wurde in 47 Sprachen übersetzt und erlangte bereits zu Lebzeiten Weltruhm. "Biedermann und die Brandstifter", 1958 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt, reiht sich in eine Flut von Stücken ein, bei denen es ihm um Fragen zu den Grenzen der Identität, des Heimatgefühls und sozialen Umgangs, aber auch um die Herausforderungen der Technisierung geht. Das "Lehrstück ohne Lehre", wie er sein Schauspiel "Biedermann und die Brandstifter" nennt, betonen die Gefahren, die in der Bequemlichkeit des biederen Denkens stecken und lässt damit in feiner Behutsamkeit den Fingerzeig auf sich selbst zu. Erste Skizzen entstanden zwar 1948 unter dem Eindruck der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei, halten dennoch jegliche politische Bezugnahme offen und verdeutlichen im ganz persönlichen Bereich, wie sich Denkfaulheit und Fixation, denen wir alle aus Angst unterliegen, unvermittelt in explosiven Situationen entladen können.
"Schicksal zu heissen: Der Blödsinn, Der nimmerzulöschende einst!"
Aufführungen noch bis zum 8 Juni 2022
Infos und Tickets
Auch einen Ausflug wert:
Zugang zum Max-Frisch-Archiv in der ETH Zürich
Carmela Maggi
8. April 2022
(Bildrechte: Konzert und Theater St.Gallen)