Alice Schwarzer - Autobiografie
Der Mensch hinter der Ikone
In ihrer Autobiographie „Lebenslauf“ enthüllt Alice Schwarzer den Menschen hinter der Ikone. Schonungslos ehrlich erzählt die Journalistin und Gründerin der „Emma“ die Geschichte ihres Werdens und wie sie gängige Geschlechterrollen zwischen Frankreich und Deutschland mehr als nur auf dem Papier aufmischte.
Den Mund liess sie sich noch nie verbieten, schon gar nicht, wenn es um die Rechte der Frauen geht. Jenseits von Kochrezepten, Kosmetik und Modegeplänkel kämpft Alice Schwarzer bis heute mit blitzgescheitem Verstand und entwaffnendem Humor an der Seite namhafter Frauen-Aktivistinnen. Für Geburtenkontrolle, Selbstbestimmung, Arbeitsteilung, Lohngleichheit und, und, und…
Und auch wenn Sie dafür einiges einstecken musste, so manchen Ehekrach provoziert haben mag, gab ihr der grosse Zulauf immer wieder Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein.
„ Der Motor meines ganzen Handelns ist die Gerechtigkeit. Alles andere wäre für mich ein verpasstes Leben. „
Am 3. Dezember 1942 als „Kind der Liebe“ von ihrer ledigen Mutter geboren, die den Platz einer Schwester einnimmt und eines Vaters, den sie kurz als 20-jährige traf und dessen Namen sie vergessen hat, wird Alice Schwarzer von Ihren Grosseltern aufgezogen. Vor allem der Grossvater Ernst Schwarzer, dem sie das Buch widmet, kümmert sich rührend um die Kleine. Aber auch die Grossmutter, die politisch stets vorausschauend, mit den berüchtigten Hustenanfällen die gesamte Kriegszeit ohne „Heil Hitler!“ auskam, war Alice eine wertvolle Gesprächspartnerin. Wenn sie sich auch durch ihr familiäres Eingesperrtsein mehr und mehr zur Haustyrannin entwickelte.
„Das ist bis heute mein Schicksal, ich muss gar nichts dafür tun: Die Spiesser riechen mich auf hundert Meter und hassen mich unausweichlich. „
Nicht zu erwähnen, was es zu dieser Zeit bedeutete, als uneheliches, auch noch konfessionsloses Mädchen aufzuwachsen. Sie liess sich unter den Hustenanfällen ihrer Grossmutter, auf eigenen Wunsch taufen. Doch gerade die Kindheit als Aussenseiterin, aber auch der Rückhalt durch ihre, „Mama“ und „Papa“ genannten Grosseltern, scheinen Alice Schwarzer das nötige Rückgrat gegeben zu haben, das sie später gebraucht hat.
„In dieser Zeitung sind alle korrupt, Manchmal habe ich den Verdacht, sie machen das Blatt nur, um die weissen Flächen zwischen den Anzeigen auszufüllen“ (1968 über die „Düsseldorfer Nachrichten“).
In den Sechzigern zur hübschen, blonden Frau mit gehobenem Modebewusstsein herangewachsen, pendelt Alice Schwarzer schreibend zwischen Deutschland und Frankreich. In Paris lernt sie ihre grosse Liebe Bruno kennen. Er wird auch ihr bester Freund, der sie in allen Vorhaben voll unterstützt und der sie, ganz anders als ihr erster fester Freund, nicht in eine Ehe mit Kindern drängen will.
Schwarzer erzählt auch von einer Zeit inniger Frauenfreundschaften mit Jazz, Filmen und Simone de Beauvoir, deren Bücher sie verschlingt, aber auch von gewagten Protestaktionen in Paris mit dem MLF (Mouvement de Libération des femmes).
„Ich bin verbrannt. Verbrannt als Journalistin, weil ich Feministin bin."
Die Rückkehr nach Deutschland 1974 fiel Alice Schwarzer in vielerlei Hinsicht schwer. Sie musste sich dafür schweren Herzens von Bruno trennen, der „très parisien“ war und in Deutschland verloren gewesen wäre. Hinzu kam, dass sie sich in der durchorganisierten deutschen Frauenbewegung, anders als in Paris, fremd fühlte und mit ihren Ideologien immer wieder zurückgedrängt wurde. Nicht anders war es in den deutschen Redaktionen, wie der des "Spiegel", bei denen sich intern Widerstand gegen Schwarzers Engagement regt.
"Auch das habe ich in den vergangenen Jahren bitter lernen müssen: In der Geschichte geht es nicht immer vorwärts. Und der Fortschritt ist keineswegs gesichert, sondern muss täglich erkämpft werden."
Es folgte ein Leidensdruck, der Alice Schwarzer 1976 bewog die „Emma“ zu gründen. Im selben Jahr verliebte sie sich auch in ihre Lebenspartnerin („Unsere Beziehung ist offen, aber nicht öffentlich“), mit der sie bis heute zusammen lebt.
Alice Schwarzer, Lebenslauf
erschienen bei Kiepenheuer und Witsch
464 Seiten; ISBN: 978-3-462-04456-0
Carmela Maggi, 15. November 2011