*Andrea Chénier-18.St.Galler Festspiele | Oper und Kultur

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*Andrea Chénier-18.St.Galler Festspiele | Oper und Kultur

Andrea Chénier- 18. St.Galler Festspiele

Gefährliche Bücher

Konzert und Theater St.Gallen eröffnet und beendet mit der Open-Air-Oper "Andrea Chénier" die 18. Festspiele auf dem Klosterhof. Die auf den ersten Blick karge Bühne des griechischen Aussatters "takis" überlässt den Fokus ganz seinen Kostümen, Requisiten und natürlich der bewegenden Inszenierung von Rodula Gaitanou. Giordanos wunderbare Musik, vom musikalischen Leiter Modestas Pitrenas und seinem Team mit Herz und Präzision umgesetzt, lässt keine Wünsche offen. So endet der warme Sommerabend in Standing Ovations aus den ausverkauften Reihen.

Frischer Wind
Mit den 18. St.Galler Festspielen geht eine Ära zu Ende. Das renovierte Theater kann nun endlich für die Saison 2023/24 eröffnet werden und erfährt mit Jan Henric Bogen gleichzeitig eine neue Gesamtleitung. Gleichzeitig dürfen die Festspiele des Hauses nur noch jedes zweite Jahr auf dem Klosterhof stattfinden. Die Stadtregierung schreibt dem Gross-Event mit seiner Bühnenaufbau und den respektvollen Darbietungen in den sakralen Räumen einen schwindenden Tourismus zu. Aus diesem Grund bewegen sich die Festspiele ab 2024 jedes zweite Jahr auf die Flumser Berge und bringen den Kulturtourismus an die dortige Naturarena auf 1400 Metern über Meer. Ein frischer Wind also, der ab sofort bei mehreren Konzepten um die Nase weht.

Diesmal gilt mein Besuch aus gesundheitlichen Gründen der Dernière, dessen Abend nach dem kalten Sommertagen der wärmste war. Giordanos Oper "Andrea Chénier" wurde vor einigen Jahren bereits auf der Seebühne in Bregenz aufgeführt. Im Gegensatz dazu, bietet die bühnennahe Darbietung auf dem Klosterplatz eine intime und stilvolle Atmosphäre mit etwa 1000 Plätzen, die an diesem Abend bis auf den letzten ausverkauft waren.
Um Instrumente und Orchestermitglieder vor witterungsbedingten Widrigkeiten zu schützen, hat sich das Haus zudem entschlossen, die Idee aus Pandemiezeiten zu übernehmen und das Sinfonieorchester aus der naheliegenden Tonhalle mit Glasfaser übertragen zu lassen. Dazu sind immer die besten Tontechniker am Werk. Denn zweifellos eine habtische und akustische Herausforderung, die jedoch mustergültig gemeistert werden konnte. Drei Chöre und das Sinfonieorchester agierten unter der Leitung von Modestas Pitrenas in symbiotischer Einigkeit und untermalten die Handlung mit Feingefühl und Präzision.

Politische Schieflage
Die Konstruktion der Bühne des griechischen Ausstatters
takis scheint auf den ersten Blick simpel. Sie bezieht jedoch, wie auch in anderen Jahren, die wechselnd beleuchtete Fassade der Klostertürme mit ein und überlässt den Fokus den BühnenakteurInnen in ihrer aufwändigen Kostümierung. Diese lehnt takis zwar geschichtlich an, brilliert jedoch mit aussergewöhnlicher Originalität. Die Arc de Triomphe als Symbol der französischen Revolution stellt er in eine Schieflage und lässt das Tor zwischen Gefangenschaft und Freiheit von goldenen Käfigen umzäunt zur Guillotine umfunktionieren. Symbolträchtig und genial der Einfall.

Auch die Solistinnen und Solisten brillieren an diesem Abend. Allen voran der venezolanische Tenor Jorge Puerta in der Titelrolle. Die feinsinnige Intonation in verführerischer Leichtigkeit geführt, lässt er eine schier unerschöpfliche Reserve erahnen, die sich dahinter verbirgt und macht damit aus seiner Rolle einen wahren Herzöffner.
Gar nicht leicht, dazu einen weiblichen Part auf Augenhöhe zu finden. Doch die Performance von Ewa Vesin als Maddalena di Coigny gab sich keinerlei Blösse. Souverän singt sie ihre Passagen, allem voran die berühmte Callas-Arie "La mamma morta" in hinreissend perfekter und bewegender Art, so dass feuchte Augen und Gänsehautfaktor nicht ausbleiben. Alle Solistinnen und Solisten zeichnen sich zudem durch die perfekte Aussprache, in der in Italienisch verfassten Oper, aus.

Die Revolution
Obwohl die Worte in Italienischer Sprache erklingen, spielt die Zeit-Geschichte des Librettos in Frankreich und zeigt sich aktueller, als auf den ersten Blick vermutet. Die Adelsherrschaft neigt sich Ende des 18. Jahrhunderts auf brutalste Art dem Ende zu. Viele Menschen müssen ihr Leben lassen um der Hoffnung einer gerechten Welt entgegenzufiebern. Mit allen zur verfügung stehenden Mitteln wehren sich die Machthaber, stellen eigennützige Gesetzte auf, verbieten (heutigen Faktencheckern ähnlich) gefährliche Bücher, deren Inhalt die egoistische Lebensweise der Elite infrage stellt und beseitigen ganz einfach unliebsame Zeitgenossen.
In Umberto Giordanos Oper stellt der Librettist Luigi Illica einen Literaten, nämlich Andrea Chénier ins Zentrum der gesellschaftlichen Umwälzungen. Wie viele Künstler fungiert auch er als Bücke zwischen Aristokratie und Sklaverei. Direkt aus der französischen Hauptstadt eingereist, wo er Zeuge von aktuellen Umstürzen wurde, stösst er bei der verwöhnten Gesellschaft auf taube Ohren. Klug und belesen wie er ist, narrt er den Wünschen und Befehlen der Gräfin de Coigny mit spöttischen Fersen. Mit seiner Posse setzt er sich über die Gesellschaftsordnung hinweg und begibt sich dadurch ins Licht ordnungshütender Kräfte. Von seinem Mut beeindruckt verliebt sich Maddalena heimlich in den Fremdling, dem sie sich nur auf verborgene Art nähern kann. Von Kirche und Aristokratie bespitzelt begibt sich das Liebespaar gemeinsam auf den unausweichlichen Weg in die Exekution.

Weitere Infos

Carmela Maggi
7. Juli 2023

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Bildrechte: Theater St.Gallen