Vergeigt - Theater Basel
Tragik und Komik des Scheiterns
An der gestrigen Premiere des Theaters Basel lässt Herbert Fritsch in seiner Oper "Vergeigt" Akteure und Akteurinnen aus drei Sparten in allen Farben des Regenbogens scheitern. Dafür ruft er namhafte Grössen auf die Bühne. Mit herzlich verkrampftem Humor durchsetzt, zeigt er die ganze Tragik der Ängste von Kunstschaffenden, die stolpern und sich in der Öffentlichkeit gründlich blamieren. Dafür rollt er zur Belohnung, unter tosendem Applaus eines ausverkauften Saals, den roten Teppich aus.
Erste Geige
Für sein Stück "Vergeigt" ist keine Übertitelungsanlage erforderlich. Weshalb Herbert Fritzsch dieses trotzdem als Oper bezeichnet, ist jedenfalls nicht bekannt. Bekannt ist nur, dass der Regisseur keinen Unterschied zwischen Musik- und Schauspieltheater macht. Ausserdem pfeift er auf Konventionen, geht ganz eigen an seine Projekte heran. Nämlich ohne schriftliche Vorlage. Vielmehr tastet er sich an die Themen in gemeinsamer Arbeit mit seinen Bühnen-Akteurinnen und -akteuren samt technischem Team heran, lässt dafür deren Können, Erfahrung, Kreativität und nicht zuletzt ihr urkomisches Talent einfliessen.
Blamage auf höchstem Niveau
Zu diesem Zweck hat er namhafte Grössen aus drei Sparten auffahren lassen, die mit dem Scheitern keine, zumindest keine bekannten, Erfahrungen gemacht haben:
Namentlich die Ausnahmegeigerin Patricia Kopachinskaja, den Klarinettisten Reto Bieri, Schauspielteam Wolfram Koch, Annika Meier, Carol Schuler, Hubert Wild und Christopher Nell, sowie den Bassbariton Jasin Rammal-Rykala. Musik oder Gesang studiert haben sie alle. Sie alle kennen den Drill der Musikhochschulen hin zur Perfektion, die jegliche Individualität und Kreativität aus den Segeln nimmt, mit dem Ziel, die Kunstschaffenden zum Einheitsbrei mutieren zu lassen.
"Aua!"
Erfahrungen voller Pein sind das, seelisch und körperlich. Auch wenn das Publikum sich lauthals über die pein-lichen Bühnenpannen in allen Farben des Regenbogens amüsieren kann. Denn auch das gehört zur Palette des Scheiterns dazu.
"Aua!" Nein, ganz ohne Blaue Flecke gehts wohl nie. Wie weh muss das tun, wenn einer die Stiegen herunterfällt, sich die Klarinette in den Rachen schiebt, den Körper als Grammophon umfunktioniert um den Beatles-Song "Because" zu singen, oder gar Panik vor Kritik von Kollegen, Publikum und Presse hat! Diesen Schmerz lassen die Performer dann im Besonderen an ihren Instrumenten aus.
Himmel voller Arschgeigen
Leidenschaftlich, ekstatisch und affektiert können sich da schon mal die Rosshaare des Bogens mit dem Haupthaar der Geigenvirtuosin vermischen. Auch die Donnerbleche, wie Aktentaschen in einem wirren Durcheinander herumgetragen (jaja Kafka lässt grüssen), lassen sich letztlich brav einreihen und damit instrumentalisieren. Und wenn sich die Mitglieder des Orchesters, eng ineinander verkettet, zu wahren Arschgeigen entwickeln, hält sie nichts mehr auf, den lästernden Kriegszustand des Notenständer-Aufbaus in eine laszive Geigenorgie ausarten zu lassen.
Mit welchen Instrumenten liesse sich das alles lust- und qualvoller ausdrücken, als das mit den sprechenden Hölzern einer Geige oder Klarinette?!
Gleichklang
Bereits bei der technischen Panne an der Einführung stellt sich die Frage, ob Fritschs Stück, ähnlich wie bei Verdis "la Forza del Destino" wohl auch unter einem schlechten Stern steht. Aber nein, auf der Bühne geht alles gut.
Unter schlichter und zugleich umwerfender Ästhetik, nicht zuletzt dank Lichtdesigner Cornelius Hunziker, und den choreografisch programmierten LED-Kostümen, vergeigen sie es alle hochgradig auf der ganzen Linie und bekommen dafür zuletzt auch noch den roten Teppich ausgerollt. Mit unkenntlich machenden Masken dürfen sich die clownig Nivellierten dann auch, strauchelnd und stolpernd, einen gerecht verteilten, tosenden Schlussapplaus abholen.
Weitere Aufführungen bis zum 16. Juni 2023
Infos und Tickets
Carmela Maggi
27. Mai 2023
Bildrechte: Theater Basel