Solo für vier Stimmen - Roman, Christine Fischer
Solo für vier Stimmen
Christine Fischers vierter Roman erzählt vom alltäglichen Leben einer nicht alltäglichen Familie. In „Solo für vier Stimmen“ lässt sie die Romanfiguren selbst erzählen und fesselt bis zur letzten Seite.
Mit dem vierten Roman „Solo für vier Stimmen“ wagt sich Christine Fischer auf ungewohntes Terrain. Sie lässt die Mutter Linda, Vater Georg, Tochter Eva und Sohn und Jan selbst aus ihrem Leben erzählen.
Die fünfte Stimme ist nicht hörbar. Daniel das dritte Kind, war behindert und vor einigen Jahren an Herzversagen gestorben. Doch wie von der Spitze einer Pyramide spricht er von oben durch die anderen vier Stimmen seiner auf der Erde gelassenen Angehörigen. Die scheinen seit Daniels Tod haltlos im Raum zu stehen, als hätte Daniel in seiner Bedürftigkeit alles zusammengehalten.
Linda, die Mutter versucht die Enden wieder zu verbinden, indem sie am Tag der Sonnenfinsternis eine Gedenkfeier veranstaltet. Doch die Familie rebelliert gegen Lindas düstere Gedankenwelt:
„Hat Daniel durch sein Sterben meine Ländereien atomar verseucht, so dass sie unbewohnbar geworden sind?“
Nähe und Ferne
Lindas neue Sehnsucht gilt dem Kilimandscharo. Und Georg versucht seit Daniels Tod vergeblich, ihr näher zu kommen: “Heute Morgen, als ich mich rasierte und im Spiegel nachprüfte, ob keine blutenden Stellen zurückgeblieben waren, tauchte der nächtliche Traum aus dem Nebelgebirge meines Denkens auf. Ich glaube Linda würde ihn gnädig als `richtigen Traum` einstufen und ich erhielte endlich wieder ein paar Cumuluspunkte auf der Kundenkarte unserer Ehe.“ Zermürbt verbringt Georg seine Tage mit Werbetexten und nimmt schliesslich die Gelegenheit eines Seitensprungs wahr.
Jan erkundet Finnland und verliebt sich nicht nur in das Land. Er breitet die Flügel der Jugend aus, entflieht der Verpflichtung, immer der Sonnenschein der Familie sein zu müssen:
„Mama wäre hin und weg bei diesem Anblick, da bin ich mir sicher. Die würde herumfuchteln und Ah seufzen und Oh, statt die Szene zu verfolgen wie ein normaler Mensch. „
Auch Eva kann nicht mehr: „Mama kann mich nicht als Statistin für ihr Seelendrama missbrauchen. Das bringt uns den Tati (Daniel) auch nicht wieder zurück“. Erst gerade erwachsen geworden, gerät ständig sie an die falschen Männer und toppt ihr Gefühlsdurcheinander noch mit einer ungewollten Schwangerschaft. Ihr Freund Rainer, ein Jazzmusiker, versucht verkrampft seine Verpflichtung wahrzunehmen. Doch Eva, die sein „Esogeschwätz“ als "Egogeschätz" entlarvt, wirft ihn kurzerhand vor die Tür:
„Rainer glaubt an eine Pflanzenseele, kümmert sich ums Wässern aber nur, wenn es ihm in den Kram passt, und das ist eher selten.“
Puzzleteile
Christine Fischer’s Roman fesselt - von der ersten Seite an. Er fordert auf, sich ständig neu zu orientieren. Die vier Solo-Stimmen sind wie Puzzleteile. Willkürlich wechselnd sammeln sie erst die eigene Welt um sich und fügen sich im Laufe der Geschichte zu einem ganzen Bild zusammen. - ohne dass Daniel in seiner Abwesenheit eine Lücke hinterlässt. Eine Meisterleistung der Autorin. Mit zartem Gespür beleuchtet sie das Geschehen in der Familie, macht die fünf Stimmen berürbar, hörbar und frei von Erklärungen.
Die Nähe zur Sprache ist für Christine Fischer eine Berufung. 1952 in Triengen Luzern geboren, studierte die Autorin Logopädie an der Universität Freiburg, ist bis heute in verschiedenen Institutionen in St.Gallen und Umgebung als Sprachtherapeutin tätig. „Ich möchte erzählen können, Wörter aus Fleisch und Blut von meinem Mund zu einem fremden Ohr schieben und erleben, dass diese Brücke sich schlagen liesse und der Belastung standhielte“ so Christine Fischer in ihrem Erstlingsroman "Eisland", der mit dem Luzerner Werkpreis ausgezeichnet wurde. Dass Christine Fischer erzählen kann, hat sie in ihren drei Romanen, die seit 1992 erschienen sind, längst bewiesen.
Christine Fischer: „Solo für vier Stimmen“, 2003 Appenzeller Verlag, ISBN 3-85882-356-2
Carmela Maggi, 29. April 2003