Ich wählte die Freiheit - Erzählungen, Mariam Notten und Erica Fischer
Ich wählte die Freiheit
Erica Fischer schreibt die Geschichte von vier Frauengenerationen in Afghanistan, nach der Erzählung von Mariam Notten. „Ich wählte die Freiheit“ ist eine Überlieferung von Tochter zu Tochter. Mit List und Tücke wehren sich die Frauen gegen Unterdrückung und Gewalt.
Erica Fischer packte die lebensnahen Erzählungen in eine literarische Form. Das Buch gewährt einen Blick hinter die streng gehütete Kulisse einer uns fremden Kultur und ist deshalb besonders lesenswert.
Frauenlist
„Hör gut zu meine Tochter: Das sind Geschichten, die nicht jeder Frau passieren. Merk sie dir genau. Und wenn du gross bist, schreibst du sie in ein Buch.“ Das sind die Worte von Mariams Mutter. Es ist um das Jahr 1900, als Mariams Urgrossvater die Urgrossmutter erschiesst, weil er einen Nebenbuhler vermutet. Hier beginnt ein Widerstand, den vier folgende Frauengenerationen durchkämpfen müssen. Golgothai (Mariams Grossmutter), Pari (Mariams Mutter) und Mariam fügen sich zwar Regeln, die sie dem Willen der Männer ausliefern. Doch zum Opfer machen sie sich dennoch nicht. Unter härtesten Bedingungen wie Mord, familiärer Gewalt, Krieg und Verfolgung nehmen sie mit List und Tücke ihr Schicksal selbst in die Hand.
Eine Schicksalskette
Mariams Grossmutter Golgotai gerät mit ihrem Mann in die selbe Situation wie die Urgrossmutter. Sie kommt ihrem Mann jedoch zuvor und erschiesst ihn. Golgotai zwingt die Tochter Pari zur Hochzeit mit dem reichen Nichtsnutz Rhasul Khan. Dabei hatte Pari früher einmal verächtlich gedacht: „Jeder Mensch hat auf dieser Erde eine Aufgabe zu erfüllen. Du jedoch Rhasul Khan hast keine. Welche arme Frau wird dich wohl eines Tages bekommen?“
Dass sie nun diejenige sein sollte, lässt ihre Würde nicht zu. Mit einer Gerichtsklage stellt Pari die heimische Geschlechterordnung auf den Kopf, scheitert jedoch und fügt sich der erzwungenen Ehe mit den Worten: „Du hast mich gewonnen, jetzt musst du mich verdauen.“ Ein langer Kampf beginnt.
Die Schicksalskette der Unterdrückung wird erst von Paris Tochter Mariam durchbrochen, die in jungen Jahren nach Deutschland auswandert und in einem Berliner Spital als Schwesterngehilfin arbeitet.
Von Tochter zu Tochter
Die politische Entwicklung Afghanistans prägt in den Erzählungen sichtbar den Alltag von Mariam Nottens Familie, die in einem paschtunischen Dorf lebt. Erica Fischer verfasst die Geschichten, indem sie den Erzählstil der Überlieferungen von einer Frauengeneration an die nächste übernimmt und damit damit eine Spannung erzeugt, der sich niemand entziehen kann.
Die Ereignisse folgen ausführlich den brisanten Dorfgeschehnissen, überfliegen manchmal aber auch das grausames Schicksal eines Menschenlebens in wenigen Zeilen.
Mariam Notten / Erica Fischer: „Ich wählte die Freiheit“
Verlag Hanser 2003, ISBN: 3-446-20284-6
Carmela Maggi, 13. Juni 2003