Die Klugscheisser GmbH - Roman, Annemarie Pieper
Denkerin mit Herz
Eigentlich wollte sie ein Buch über Aufgaben und Ziele einer Philosophischen Praxis schreiben. Doch dann wurde daraus ein Roman, in dem die Philosophin Annemarie Pieper Lebensbereiche von allen Seiten und aus dem Inneren heraus beleuchtet - auf eine ihr eigene, witzige und lustvolle Art.
Humor statt Zähnebohren
"Die Klugscheisser GmbH" nennt Leonies Grossvater, genannt Opatschi, das Unternehmen seiner Enkelin Leonie. Dennoch stellt er ihr seine ehemalige Zahnarztpraxis für ihre Philosophische Praxis zur Verfügung. In regelmässigen Zusammenkünften soll diese, zwischen Aristoteles und Nietzsche, zur Klärung von Gedanken dienen. Dazu wird anstelle eines Bohrers der Humor angewandt.
Wer vermutet, dass es hier nur akademisch gesittet und -formuliert zugeht, wird unversehens überrascht von, nicht selten unter die Gürtellinie gehendem Witz, der es an praktischem Anschauungsmaterial nicht mangeln lässt.
Lebens- und Liebesreisen
Da die Autorin seit langer Zeit in Basel lebt, spielt ihr Roman in der Schweiz. Dennoch ist er eine Reise durch verschiedenste Landschaften und Lebensbereiche und bietet zu jeder Situation ein passendes Gedankengut, das zum Überdenken eigener Werte anregt.
Dazu dienen die zahlreichen Charaktere die die Hauptfigur Leonie umgeben; ihr Sohn Philipp, Grossmutter Hyäne mit ihrer Erinnerung an den tödlich verunfallten Vater, der Travestiekünstler war und nicht zuletzt ihr Bobtailrüde Moby Dick.
Persönlichkeiten, die mit ihren Lebensgeschichten Anlass zum Schmunzeln geben und sture Ansichten auf den Kopf stellen. Etwas, was auch auf Leonies Mitstreiter zutrifft; Literaturwissenschaftlerin Mala, die intuitive Leonie, der verhinderte Pfarrer Beat, Plastiker Jonas und natürlich Achim, mit dem sich eine zauberhafte Liebe anbahnt, die einen roten Faden durch den Roman zieht. Die beiden Philosophen gehen jedoch mit ihren Gefühlen keineswegs mit der vermuteten Souveränität um, was turbulente und lesenswerte Dialoge herauskitzelt.
Die Denkerin
Dass die Autorin Philosophie nicht als staubtrockene Materie vorsetzen will, die alles Lebendige in sich erstickt, beweist schon ihr Buch "Glückssache - Die Kunst gut zu leben". Darin gelingt es der Autorin auf lustvolle und anschauliche Art allen Glückssuchenden, ihrem Ersehnen eine Form zu geben und ermöglicht dadurch dessen Annäherung.
Nicht verwunderlich also, dass aus ihrer ursprünglichen Absicht, eine Abhandlung über Aufgaben und Zeile einer philosophischen Praxis zu verfassen, ein lustvoller Roman entstanden ist. Wie in all ihren Publikationen ist auch hier die weibliche und ganzheitliche Seite der Philosophie spürbar, wie sie Annemarie Pieper verkörpert. Eine Seite, die allen Romanfiguren ein eigenes Gehirn zugesteht.
Leseprobe:
Leonie im Dialog mit ihrem Vater Jussuf: „Eigentlich ist das komisch, das Licht macht dass wir sehen und dann macht es, dass wir nicht sehen. Das verstehe ich nicht.“
„Der Fehler liegt darin, dass diese Leute, die Idealisten nämlich, glaubten, man sähe besser und etwas Besseres, wenn man so tut, als gäbe es das Materielle gar nicht, und sich ganz auf das Immaterielle, das Licht eben, konzentrierte. Das ist so, wie wenn der Kopf so täte, als ob es den Bauch und das Herz nicht gäbe.“
„Und warum will der Kopf kein Herz und keinen Bauch?“
„Weil er meint, dass seine Gedanken dann klarer reiner unbeschwerter sind. Der Kopf möchte unabhängig sein. Aber wie die Augen, die nichts mehr sehen, wenn sie ins Licht starren, wird auch der Verstand blind, wenn er nur ins Licht der Vernunft starrt. Er denkt dann nichts mehr.“
„Und wie ist es dann richtig?“
„Richtig ist es, wenn wir uns so verhalten, dass Kopf, Herz und Bauch miteinander kooperieren können. Schau, die Mediziner sprechen mit grosser Hochachtung von der Leistung unserer Därme. In den kilometerlangen Schläuchen laufen unendlich viele Prozesse ab, die sorgfältig miteinander koordiniert werden müssen. Deshalb spricht man heute davon, dass der Darm ein Gehirn hat und für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden von entscheidender Bedeutung ist. Es gibt also nicht nur ein Kopfhirn sondern auch ein Darmhirn.“
Annemarie Pieper
ist 1941 in Düsseldorf geboren und studierte Philosophie, Anglistik und Germanistik. 1972-1981 war sie Dozentin bzw. Professorin für Philosophie in München und von 1981- 2001 ordentliche Professorin für Philosophie in Basel. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit und ihrer zahlreichen Publikationen liegt im Bereich der praktischen Philosophie, besonders der Ethik. Dabei spielt sie als Vorreiterin der weiblichen Philosophie eine tragende Rolle. Bei Schwabe ist sie Mitautorin des historischen Wörterbuchs der Philosophie.
"Die Klugscheisser GmbH" ist ihr erster Roman.
Schwabe Verlag Basel 2006, IBSN 978-3-7965-2219-2
Carmela Maggi, 28. Juli 2006