The Rocky Horror Show-St.Gallen | Oper und Kultur

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The Rocky Horror Show-St.Gallen | Oper und Kultur

The Rocky Horror Show - Theater St.Gallen

Hymne gegen die Heuchelei

Das einst skandalträchtige, 1973 in London uraufgeführte Kult-Musical hat sich nach anfänglichen Verrissen nicht zuletzt durch Jim Sharmans Verfilmung bei den eingefleischten Fans etabliert. Nach 30 Jahren zelebrierte das Theater St.Gallen gestern eine neue Premiere von «The Rocky Horror Show» und brachte mit einfachen Interaktionsmitteln den Saal zum Kochen. Nicht zuletzt dank der grandiosen "Rocky Horror Band" unter der Leitung von Tobias Cosler, die das Publikum buchstäblich von den Stühlen riss.


Don't dream it, be it
Augenscheinlich sind die eingefleischten Fans nach der letzten Inszenierung in der Spielzeit 1993/94 des Theaters St.Gallen um dreissig Jahre gealtert. Sie hätten sich damals wohl nicht träumen lassen, dass Themen, wie Nonbinarität und Selbstfindung die neue Generation nur noch zum Gähnen bringen. Damit vielleicht auch ihr Blick auf jene, die einst dafür gekämpft haben, dass ein selbstbestimmtes Leben heute für westliche Freiheitsideale zur Selbstverständlichkeit gehört.
 
Dennoch feierten bei der gestrigen Premiere von "The Rocky Horror Show" auch viele Kids mit passender Kluft ausgestattet ordentlich mit.
Das kultige Spiel mitzuspielen verhalfen ein Stück weit auch die mit dem Programmheft in liebevoll gestalteter Stofftasche verpackten Utensilien, die vor dem Eintritt feil geboten wurden. Christian Breys Inszenierung, wenn auch an wenigen Stellen übertrieben animativ ins Lächerliche gezogen, war nicht nur dank prominenter Teilbesetzung ein voller Erfolg. Das sonst schwer in offene Begeisterung zu bringende, eher vornehm stille Publikum machte interaktiv mit und brachte am Ende der Vorstellung mit tanzenden Standing Ovations den ausverkauften Saal zum Kochen.
 
Aber Vorsicht: Spass haben ist nicht leicht!
Den Ikonen des Films aus dem Jahr 1975 gerecht zu werden, war bei den Erwartungen der Fans bestimmt die höchste Herausforderung. Um diese nicht zu enttäuschen, lehnte sich die Inszenierung deshalb stark an das Original an, das sich spielend in die heutige Zeit adaptieren liess. Um die Songs als absolutes Muss in Originalsprache präsentieren zu können, bediente sich die Regie der Verständlichkeit halber einer Abendführung; unter erwünschten Buh-Rufen souverän ausgeführt von der 1943 geborenen Schweizer Film-Ikone Heidi Maria Glössner, die ihre tadellosen Beine bei der Applausordnung mit einem WOW-Effekt in Strapsen und Stümpfen zeigte.
 
In obligater Kluft und überragender Körpergrösse präsentierte sich ebenfalls unter Pfeifen und Johlen Yascha Finn Nolting als Dr. Frank'N'Furter. Damit stand er was Präsenz, Darstellung und Gesang angeht dem von Tim Curry geschaffenen Vorbild in keinster Weise nach. So auch Maya Alban-Zapata als Magenta und Michael B.Sattler als goldschimmernder Rocky. Beide präsentierten sich stimmgewaltig und ausstrahlungsstark. Der Vorlage entsprechend zurückhaltend und gehemmt Janet und Brad, dargestellt von Pascale Pfeuti und Jonathan Fiebig, die im Laufe der Geschichte durch das Fegefeuer geläutert als neue Menschen aufeinander zugehen konnten. Ebenfalls grandios der bekannte Liedermacher Michael von der Heide, der sich in der Rolle des buckligen Riff Raff in Darstellung und Gesang von einer bisher ungeahnten Seite zeigen konnte. Sozusagen als Kirschen auf der Sahnetorte Schauspieler Christian Hettkamp als Dr. Scott, Lilly Hartmann als Columbia und Aaron Hitz als Eddie, auch wenn dieser in Jim Sharmans Verfilmung von Meat Loaf in ganz anderen Dimensionen verkörpert wurde, dessen Fleisch der Hausherr zum feierlichen Abendmal gereicht hat. Barbara Tataglia choreografierte die Bewegungen der Hauptfiguren und dem wuselig-lasziven Phantoms-Chors.
 
Sweet Transsexual Transilvania
Magenta heisst das seltsame Hausmädchen im Hause des Ausserirdischen Dr. Frank'N'Furter. Diese Farbe bietet sich symbolisch als Ende des Regenbogens perfekt für das Grundmotiv in der Ausstattung von Annette Hachmann und Leisa Limberg an.
Janet und Brad, deren christlich-dogmatischer, heterosexueller Stereotyp von der Regie betont ins lächerliche gezogen wird, werden unfreiwillig auf den Weg zur Selbst- und Lustfindung geschubst. Riff Raff bietet dem Paar also, zitternd und feucht vom Regen, einen nicht ganz willkommenen Unterschlupf. Der Schlossherr hat in seinem Labor nämlich gerade die Erschaffung seines Traummannes vollendet, den er gedenkt zu heiraten. Das Chaos nimmt seinen Lauf.

Vor Doppeldeutigkeiten strotzend durchbricht das Musical hinter der launigen Maske augenzwinkernd eine anerzogene und von Schuld behaftete Sexualität. Wie passend eine Figur wie Frank N.Furter in die avantgardistische Agenda hineinpasst, hätte sich bei der Uraufführung 1973 keiner ausgemalt. Das Musical, medial verrissen, hat einen flächendeckenden Skandal aber auch eine Gegenbewegung ausgelöst.
Die Songs, mit der die «Rocky Horror Band» unter der Leitung von Keyboarder Tobias Kosler im Saal Begeisterungsstürme ausgelöst hat, symbolisieren die in den Lyrics enthaltene Auflehnung gegen Bigotterie, Tabus und Beschränkungen. Deshalb ist die Story aufmüpfig mit christlichen Symbolen durchwoben.
Auch Rocky, der im Labor als Objekt der Begierde und vollkommen frei von individueller Intelligenz und Meinungsbildung erschaffene "perfekte" Mensch passt perfekt in die Visionen der Neuzeit, in der Roboter und Klone aus Retortenlabors die Vorstellung blanken Horrors auslösen.
Oder war alles doch nur ein Albtraum? Nach Vorstellung und Premierenfeier begibt sich wohl jeder wieder zurück in die Sicherheit seines gewohnten Kleinstadt-Lebens.

 
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Vorstellungen noch bis zum 16. Februar 2024
Infos und Tickets

Carmela Maggi
20. Oktober 2024


Bildrechte: Theater St.Gallen