*Carmen-St.Gallen | Oper und Kultur

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*Carmen-St.Gallen | Oper und Kultur

Carmen - Theater St.Gallen

Im Würgegriff der Leidenschaft

Nach sieben Jahren präsentiert das Theater St.Gallen erneut eine der beliebtesten Opern der Geschichte. Wen wundert’s, Komponist Bizet hat mit seiner "Carmen" seinerzeit etwas Revolutionäres erschaffen. Seine zugleich hinreissende und komplexe Musik spiegelt perfekt die Hauptfigur und das Milieu, aus der sie stammt, wider. Düster, aufwendig und dramatisch zeigt sich Berloffas Inszenierung, die sich an der dargestellten Umgebung orientiert und die darin lebenden Figuren in den Vordergrund stellt.

Carmen, heute einer der erfolgreichsten und am meisten gespielten Opern auf der Welt, stiess bei ihrer Uraufführung in der Pariser Opéra-Comique auf heftigste Kritik. Zu brutal empfand das Publikum die Darstellung der gesellschaftlichen Unterschicht, Zu komplex die Musik. Sowohl die realistische Milieudarstellung, als auch die Dramatik und schicksalhafte Tragik machten Komponist Georges Bizet jedoch zum Vorläufer des Purismus. Erst die Rezitativfassung von Ernest Guiraud brachte in Wien 1875 den verdienten Erfolg. Leider konnte der Komponist diesen Erfolg nicht mehr miterleben.

Roter Faden
Dieser Purismus war der rote Faden, den Regisseur Nicola Berloffa, zusammen mit Rafail Ajdarpasic (Bühne) und Ariane Isabell Unfried (Kostüme), aufgegriffen und weiter gezogen hat. Den der Oper so oft angehängten Touristen-Schnick-Schack hat er in einer gekonnten Gratwanderung zugunsten der Authentizität und Dramatik weg gelassen, ohne ihr die Charakteristik zu nehmen.

Authentische Ausstattung
So findet die Handlung hinter Jalousien verdunkelten Räumen und entwurzelten Bäumen statt. Umgebungen, die die unangestrengt hinreissenden Kostüme von Ariane Isabell Unfried in den Vordergrund stellen. Die Kostümbildnerin nähert sich bei ihren Entwürfen mit spürbarer Empathie nicht nur den Figuren, deren Herkunft und Umgebung, sondern auch den Darstellern. Dadurch gelingt ihr, wie zuletzt für die Festspieloper „La damnation de Faust“, wieder ein Kunstgriff mit abgerundetem und authentischem Rahmen.

Meilenstein
Georges Bizet erschuf mit seinem Werk, erstmals durch den neuartigen Einsatz von Dissonanzen und kunstvollem Übereinanderschichten mehrerer Melodien, einen Meilenstein in der Musikgeschichte und vor allem ein Gegengewicht zu Wagners Leitmotivik. Dirigent Modestas Pitrènas versteht es perfekt, dieses Zusammenspiel gemeinsam mit Orchester, Solisten und Chor akustisch und emotional auf das Publikum zu übertragen.

Solider Rückhalt
Mit einem Schmunzeln zeigt sich der riesige Kinderchor unter der Leitung des Ehepaars Terhi Lampi-Fromageot und Stéphane Fromageot. „Tarattatata“ äffen sie die Soldaten nach und füllen die Szenerie, hier trotzig, dort diszipliniert. Eine tolle Leistung die prompt vom Publikum honoriert wird. Genau so perfekt schafften es Opernchor und Theaterchor gemeinsam, musikalische Untermalung und szenische Aktion unter einen Hut zu bringen. Besonders die Solisten Jordan Shanahan und Riccardo Botta als Schmuggler Dancaïro und Remendado bilden gemeinsam mit den Solistinnen Susanne Gritschneder und Alison Trainer als Mercédès und Frasquita einen soliden stimmlichen und szenischen Rückhalt mit einigen Finessen.

Würgegriff einer Frau
Rauchende Soldaten erwarten mit Spannung auf die Pause der Arbeiterinnen der Zigarettenfabrik, während Micaëla (Cristina Pasaroiu) ihre Jugendliebe José (Ladislav Elgr) sucht. In Berloffas Inszenierung erfährt die Figur Micaëla, als einzige in Rot gekleidet, die Position einer starken Frau. Bereit, sich für Ihren Geliebten aufzuopfern und ihn mit Entschlossenheit aus dem Würgegriff von Kriminalität und vergifteter Leidenschaft zu befreien. Eine Aufgabe die Cristina Pasaroiu überzeugend, stimmlich rund und bewegend meisterte. Das Publikum war sich darin einig.

Verflixtes Französisch
Der Würgegriff ist der von Carmen (Alex Penda). Ihr liegen alle Männer zu Füssen. Ausser José, der sie mit seiner Gleichgültigkeit erst richtig anstachelt. Unheilvoll beginnt sie mit ihrem Spiel, bei dem sie sich wie eine Schlange langsam an ihr Opfer schmiegt. Liebessehnsucht, vergiftende Leidenschaft und unwiderstehliche Erotik von einer Dame aus der untersten Gesellschaftsschicht, die zugleich fasziniert und abstösst. Eine komplexe Aufgabe für die Hauptfigur Carmen, nicht nur musikalisch. Selbst für Muttersprachler erfordern die gesanglichen Passagen in der Artikulation von Solisten und Chor enorme Übung und Kunstfertigkeit. Die Arien, mit Koloraturen ausgeschmückt, verlangen gleichzeitig nach dramatischem Ausdruck, was Leichtigkeit und Kraft im selben Mass abverlangt.

Komplexe Titelfigur
Höchste Anforderungen, denen die bulgarische Sopranistin Alex Penda, mit Ausnahme einiger Lichtblicke am Ende der Oper, nur teilweise gewachsen ist. Die Komplexität und Eleganz der Hauptfigur vermag sie mit Ausnahme der falsch angezogenen Kastagnetten recht gut umzusetzen. Dennoch ist Ihre Bühnenpräsenz so schwach, dass sie oftmals in der Chormenge verschwand. In den Arien reisst sie die Phrasen zu hastig ab und zeigt ein zitterndes Vibrato in den tiefen Lagen das zeitweise schwer von den Koloraturen zu unterscheiden war. Zu vermuten ist, dass Frau Penda anfangs szenisch überagieren musste und ihr die für einen Mezzosopran geschriebene Carmen generell zu tief liegt. Weshalb es an der erhofften Gesetztheit und Kraft fehlt.

Zweite Besetzung
Schade, denn an der Matinee vom vorigen Sonntag hatte die zweite Besetzung Gala El Hadidi mit der Habanera sowohl darstellerisch als auch musikalisch eine überzeugende Leistung als Vorgeschmack geliefert, die das Publikum in Entzücken versetzte.

Starke schwache Männer
Aris Argiris trumpft dagegen mit mediterran-männlichem Auftreten als Escamillo und hielt trotz stimmlicher Indisposition tapfer durch. Tenor Ladislav Elgr bietet trotz seines eher androgynen Auftretens als José darstellerische und gesangliche Höchstleistungen bis hin zur hörbaren Erschöpfung. Carmen, die José innerlich zerreisst, seine Karriere zerstört und zum Kriminellen macht, hat er in einem Befreiungsschlag und von einem musikalischen Feuerwerk begleitet, erstochen. Szenen, bei denen es auch im Publikum heiss wurde.

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(Bildrechte: Hans Jörg Michel, mit freundlicher Genehmigung des Theaters St.Gallen)

Carmela Maggi
23. Oktober 2014