Jewgeni Onegin - Opernhaus Zürich
Erfindung der Liebe
Das Opernhaus Zürich eröffnet die Saison mit der russischen Oper „Jewgeni Onegin“. Inszenierung und Darstellung spüren der wundervollen Musik Tschaikowskis und deren Wurzeln nach und schaffen es, dank der Musikalischen Leitung des jungen Stanislav Kochanovsky und einer lebensnahen Inszenierung, dem Publikum direkt unter die Haut zu gehen.
Die Oper „Jewgeni Onegin“ ist lyrischer Art. Sie spielt sich im kleinen, privaten Raum und vor allem im Inneren der Menschen ab. Ganz ohne grosse politische Szenen funktioniert die Geschichte aus dem gleichnamigen Versroman Alexander Puschkins trotz Zweifel der damaligen Kritiker, die deren Bühnenwirksamkeit anzweifelten. Tatsächlich beweist der bis heute anhaltende Erfolg, dass der Komponist es verstand, mit Musik und Libretto eine homogene Einheit zu bilden, die das Publikum immer wieder zu berühren vermag.
Berührungspunkte
Zu berühren vermag besonders Tschaikowski-Spezialist Stanislav Kochanovsky. Der junge Musikalische Leiter schafft es genau diese Einheit mit sublimer Hand herzustellen. Was sich bereits in den ersten Takten der Ouvertüre zeigt. Er versetzt zusammen mit seinem Orchester die wundervolle Komposition auf eine höhere, ja beinahe ätherische Ebene. Dennoch bewegt er sich nahe an den russischen Wurzeln, die er besonders in den tänzerischen Passagen spürbar macht.
Liebe wie aus dem Roman
Hin- und hergerissen zwischen heiterem Landleben und tödlichem Drama, zwischen der Traumwelt einer Fünfzehnjährigen und der enttäuschenden Realität des Geschlechterkampfs, die sich letztlich nur durch die Gewohnheit ertragen lässt.
„Liebe, das gab es früher nicht“, zetern die beiden Landfrauen, Gutsbesitzerin Larina und Amme Filipjewna, während sie Marmelade einkochen. Mit grandiosem Humor, überzeugend dargestellt und gesungen von Liliana Nikiteanu und Ksenia Dudanikova. Und tatsächlich waren es die Romane, die einst die Liebe erfanden und vor allem den Frauen ganz neue Massstäbe für das Leben setzten.
Auf diesen Zug springt auch Tatjana, die zusammen mit Schwester Olga von den beiden Frauen aufgezogen wird. Sie ist taub für die Weisheit der älteren Generation und vergräbt sich mit Hilfe ihrer Bücher in die eigene Traumwelt, erschafft sich damit die perfekte Illusion. Es kam, wie es kommen muss. Als Olgas Verlobter Lensky zusammen mit dem abgeklärten Lebemann Onegin auftaucht, glaubt ihn Tatjana schon immer gekannt zu haben und verknallt sich bis über beide Ohren.
Perfekte Illusion
Die perfekte Illusion gelingt auch Regisseur Barrie Kosky. Zusammen mit Bühnenbildnerin Rebecca Rings, den Kostümen von Klaus Bruns und nicht zuletzt der Lichtgestaltung von Franck Evin setzt er das Publikum mitten in eine Waldlichtung.
Sopranistin Olga Bezsmertna brilliert in ihrem Debut als Hauptfigur Tatjana, um die sich die Oper eigentlich dreht. Jung und frisch bringt sie die malerischen Gesangspartien des verträumten Mädchens zum erglühen und vollzieht auch die Wandlung vom Landmädchen zur Dame der höheren Gesellschaft mit Bravour. Auch Bariton Peter Mattei als Onegin zeigt gekonnt die beiden Facetten des gelangweilten, zynischen Lebemanns und später des reuigen Sünders, der seinen Freund in einem Duell getötet und die Liebe einer Frau zurückgewiesen hat, für die er nun plötzlich doch noch entflammt. Ksenia Didnikova und Pavol Breslik vermitteln ihre zerstörerische Inbrunst als Olga und Lenski auf das Publikum und ernten, wie die Hauptakteure, tosenden Applaus.
Auch Christoph Fischesser überzeugt mit seiner Arie nicht nur Tatjana von seiner unendlichen Liebe, die bis in die tiefsten Töne der Skala noch unerschütterlich bleibt.
Flatternde Post
Der Chor, körperlich und stimmlich sehr beschäftigt, schafft dabei den malerischen Hintergrund der Protagonisten. Dem Frauenchor gelingt gar mit Hilfe kleiner Tagebücher, die sich zu Schmetterlingen verwandeln, eine zauberhafte Szene, in der Tatjanas Liebesbrief an Onegin übermittelt wird. Einige Lacher erntet besonders die gekonnte Darstellung von Martin Zysset, der als Triquet die Feier von Tatjanas Namenstag anführt.
Insgesamt eine runde Premiere bei der nichts übertrieben oder gekünstelt erscheint. Alles nahtlos von Heiterkeit ins Drama wechselt und sich wie Tatjanas Zöpfe im Zusammenspiel ineinander verflechtet.
Vorstellungen noch bis zum 28. Oktober 2017
Infos und Tickets
(Bildrechte Opernhaus Zürich)
Carmela Maggi
26. September 2017