*La Traviata -Theater St.Gallen | Oper und Kultur

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La Traviata - Theater St.Gallen

La Traviata

Während der Renovation des Haupthauses führt das Theater St. Gallen mit beschränkten Mitteln auf der Bühne des Umbaus die Verdi Oper «La Traviata» auf. Der neue Operndirektor legt dafür die Bühnenleitung im Rahmen einer Herstory-Serie ganz in Frauenhände. Entstanden ist dabei eine nahezu konzertante Aufführung in zeitgenössischer Vision, die dank der grandiosen Arbeit des musikalischen Leiters Modestas Pitrenas, zusammen mit ausgesuchten Solistinnen und Solisten, Orchester und Chor zum dynamischen Feuerwerk entflammt.

Tugend oder Not
Bis zuletzt steht in der zweiten Aufführung am letzten Dienstag nicht fest, wer an diesem Abend die Hauptrollen singen wird. Aber auch der professionelle Chor hat hier und da einen Austausch erfahren. Die aktuelle Corona-Lage macht es unerlässlich, Beziehungen zwischen den Opernhäusern spielen zu lassen, damit diese mit fehlenden Stimmen aushelfen können.
Nicht nur zur aktuellen Besetzung liefert der gefaltete Flyer wenig Informationshilfe, der das Programmheft nicht nur als Souvenir, sondern auch als Essay aus der Dramaturgie geschätzt, schmerzlich vermissen lässt. Fragt sich, ob diese Neuerung zum aktuellen Sparkurs des Hauses, auch nach der Neueröffnung des renovierten Hauses in diesem Herbst gehören soll.
 
Dynamisches Zusammenspiel
Modestas Pitrenas lässt sich von all dem nicht beirren. Er hält sein Team fest im Griff. So dass er eine der schönsten Opern der Zeitgeschichte, trotz seiner monotonen Inszenierung, die als einzigen Vorteil Raum für Klang und Gesang ermöglicht, zu einem dynamischen Hörgenuss macht.
Seit drei Jahren musikalischer Leiter bei Konzert und Theater St. Gallen ist der Litauer mit seiner sozialen und fachlichen Kompetenz ein echter Gewinn für das Haus. Das zeigt sich klar in der
Art seines Dirigats, mit dem er in absoluter Beherrschung der Partituren, jede Stimme, jedes Instrument punktgenau miteinbezieht.
Merklich auch die markante Veränderung durch die Einstudierung mit Franz Obermair, die deutlich eine neue Klarheit und Homogenität in den Theater- und Zusatzchor zu bringen vermochte.
 
Solostimmen
Auch mit der südafrikanischen Sopranistin Vuvu Mpofu sichert sich das Haus ein Ausnahmetalent, deren Stimmvermögen zwar gewaltig und dramatisch, es dennoch nie an Feingefühl vermissen lässt, wie so oft bei bekannten Schlachtschiffen ihrer Art. Ihr bei der zweiten Aufführung an die Seite gestellt, wurde Pablo Bemsch alias Alfredo. Sublim und feingliedrig erinnert sein Timbre an José Carreras. Jedoch sind die Kraftverhältnisse nicht ganz ausgeglichen, weshalb das Paar eine eher schwache Verbindung ausstrahlt. Hier mag wohl Francesco Castoro, der in der Premiere die Rolle des Alfredo sang, eher auf Augenhöhe besetzt gewesen sein. Etwas kräftiger vertreten waren immerhin Kartal Karagedik als Giorgio und Christopher Sokolowski als Gastone.

Herstory - Feminismus
Im Rahmen von "Herstory" übergibt der neue Operndirektor Jan Henric Bogen Nina Russi das Zepter für die Umsetzung. In diesem Zusammenhang stellt die Regisseurin die weibliche Titelfigur ins Zentrum und baut die Handlung des Librettos rund um sie herum auf. So wird die Kurtisane Violetta/La Traviata in die Neuzeit und kurzerhand zur Geschäftsfrau adaptiert, die den alltäglichen Spagat einer alleinerziehenden Mutter vollführt.
Der «Umbau» des Theaters bietet technisch bei weitem nicht alle Möglichkeiten der, in Renovation stehenden, grossen Bühne des Haupthauses. Deshalb mag das Publikum wohlwollend über das karg im Raum stehende Stahlgerüst hinwegsehen. Im ersten Augenblick erinnert dieses an einen Vogelkäfig, der die Figuren ausstellt und zugleich wegschliesst. Dieser dreht sich immerwährend um sich selbst und erschafft dadurch ein unsichtbares Zentrum. Ein Symbol für die Gefangenschaft, in der jeder sein Leben zu leben hat und aus dem es nur mit dem Tod ein Entkommen gibt?
Auch wenn die Ebenen und Perspektiven, einmal oben, das andere Mal die Treppen heruntersteigend für jede Figur individuell wahrgenommen und ausgelebt werden kann, bleibt bei der überwiegend statischen Inszenierung dennoch die Frage nach Originalität und Unterhaltungswert offen. Dafür hatte Nina Russi an der Premiere vom Samstag wohl einige Buhrufe einkassiert. Davon sollte sich aber niemand beirren lassen!
 
Einen Kontrast zur Bühne bilden die Kostüme, beide unter dem Stift von Julia Katharina Berndt entstanden. Bunt, durch alle Gesellschaftsschichten und Jahrzehnte der Moderne, bewegen sich die Stilrichtungen und Materialien, kleiden Chor und Soli individuell und in jeder Rolle klar erkennbar. Obwohl für die Titelrolle etwas Vorteilhafteres gewünscht wäre, als die kräftig auftragenden Falten um die Hüften der wunderbaren Sängerin.
 
Kameliendame
Mit «La Traviata» (Die vom Wege abgekommene) hat Giuseppe Verdi die Figur der Violetta, wie es in weiteren Opern der Fall ist, eine vom sozialen Leben ausgeschlossene, wenn gar geächtete Person, ins Zentrum des Geschehens gerückt. Er vertont das Libretto von Francesco Maria Piave, dem wiederum Dumas autobiografische «Kameliendame» als Vorlage diente. Diese Figur in eine erfolgreiche Geschäftsfrau zu verwandeln ist zwar nicht ganz stimmig, lässt sich jedoch erstaunlich gut auf die Arien adaptieren. Ihr eine uneheliche Tochter an die Seite zu stellen, ist deshalb eine absolut plausible Idee. Hin- und hergerissen zwischen Erfolgsstreben und echten Werten, die miteinander schwer vereinbar sind, scheitert Violettas Lebensglück, das mit ihrer Gesundheit Hand in Hand geht, an einer mysteriösen Krankheit.
Alles in Allem eine sehens- und vor allem hörenswerte Produktion, einer der meistgespielten Opern Verdis, auch wenn diese Interpretation eher an eine Konzertante erinnert.


Vorstellungen noch bis zum 9. Juni 2022
Infos und Tickets

Carmela Maggi
26. März 2022

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Bildrechte: Theater St.Gallen