Il Trovatore - 14. St.Galler Festspiele
Andalusische Hexenjagd
Unter kreisenden Schwalben, die beim ersten Orchesterklang vor Freude mitpfeifen, beginnen am Freitag Abend auf dem Klosterplatz St.Gallen die 14. Festspiele. Die Veranstalter brechen mit Verdis Oper "Il Trovatore" damit für einmal mit der Tradition, weniger bekannte Werke aufzuführen. Grosses Gesangstalent der Protagonisten und bekannte Ohrwürmer lassen die Premiere an diesem perfekten Sommerabend zum Erfolg erstrahlen.
Anschnallen!
Naja, schon ziemlich unheimlich, Frank Philipp Schlössmanns Bühne auf dem Platz unter den Türmen des Weltkulturerbes St.Gallen. Der Tod, der beflügelt und mit Schwertern durchbohrtem Herz über den Soldatengräbern thront.
Dennoch eindrücklich, wie perfekt sich die Handlung unter der Regie von Aron Stiehl in die Umgebung einfügt und das Werk zu einem stimmigen Ganzen macht.
Verdi ist bekannterweise kein Freund einfacher Libretti. So lässt auch seine "Troubadour" oder "Il trovatore", wie die Oper im Italienischen genannt wird, in eine Affäre voller Verwicklungen und politischer Hintergründe einsteigen, die wie eine Fahrt auf der Achterbahn anmuten lassen. Darum heisst es auch diesmal, anschnallen und festhalten!
Atto primo:
Hintergrund ist der Bürgerkrieg im spanischen Aragonien. Seit ihrer Uraufführung 1853 in Rom ist die Oper ein bis heute ungebrochener Erfolg. Nicht zuletzt wegen der wunderbaren Chorpassagen, die wie die Arien schnell als Ohrwürmer eingehen. Dem Publikum mag es deshalb in den 14. Festspielen entgegenkommen, dass die Veranstalter für einmal mit der Tradition brechen, Opern-Raritäten aufzuführen. Für diese Open-Air-Aufführungen scheuen sie weder Kosten noch Mühen und engagieren auch diesmal nur die besten Tontechniker. Stefan Linde und Benjamin Schultz unterstreichen Gesang und Orchester in perfekter Weise, lassen leise Töne zu und mischen gekonnt so, dass die Sänger natürlich und dezent über der Orchestrierung schweben können.
In dieser Form beginnt auch der Musikalische Leiter mit dem Sinfonieorchester kurz und knapp in einem Ruck mit dem Auftritt des Erzählers Ferrando, verkörpert von Till Faveyts, der mit seinem Gastauftritt seine Rückkehr nach St.Gallen feiert. Die Regie baut seine Rolle als Ferrando so aus, dass er durchgehend präsent das mörderische Geschehen stimmlich und mimisch begleitet. Sein unschlagbar durchdringender Bass und die spielerisch elegante Präsenz, die er nicht allein seiner enormen Körpergrösse zu verdanken hat, begleiten das Drama des Conte di Luna (Alfredo Daza), Leonora (Hulkar Sabirova), Azucena (Okka von der Damerau) und Manrico, der Troubadour (Timothy Richards).
Ferrando erzählt die Geschichte des alten Grafen und seinen beiden Söhnen, den heutigen Grafen Luna und den anderen namens Garzia. An dessen Bett sass eines Nachts eine alte Zigeunerin weshalb sie der Graf als Hexe verbrennen liess. Die Tochter der Zigeunerin aber rächte die Mutter indem sie das Kind entführte. Schliessich fand man an der Stelle an der die alte Zigeunerin verbrannt worden war eine verkohlte Kinderleiche.
Leonora erwartet Manrico, den sie als Ritter bei den Turnieren gesehen und der danach als Troubadour unter Ihrem Fenster erschien. Graf Luna der ebenfalls in Leonore verliebt ist fordert den Troubadour zum Duell.
Atto secondo:
"Wer verschönt dem Zigeuner die Tage? Die Zigeunerin!"
Die Chorszene "la zingarella" eint die Geschlechter im breiten Graben zwischen den beiden Rivalen. Chorleiter Michael Vogel hat wieder ganze Arbeit geleistet und mit den vier Chören, dem Chor des Theaters St.Gallen, dem Opernchor St.Gallen, dem Theaterchor Winterthur und dem Prager Philharmonischen Chor im Backstage die berühmte Chorpartie zu neuem Leben erweckt.
Manrico gewinnt das Duell ohne den Grafen zu töten. Bei einem späteren Gefecht verletzen Lunas Leute Manrico so schwer, dass man ihn für tot hält. Aber die Zigeunerin Azucena findet und pflegt ihn. Von der Erinnerung an ihre Mutter verfolgt, die ihr befahl sie zu rächen.
Sie erzählt Manrico, dass sie das Kind des Grafen, der ihre Mutter verbrennen liess, raubte, aber in der Erregung ihr eigenes Kind ins Feuer warf. Aber auch Manrico sei ihr Sohn und sie ermahnt ihn, Luna nicht ein zweites Mal zu verschonen.
Ein Bote meldet, dass Manrico eine eroberte Burg verteidigen soll und erfährt dass Leonora, wegen ihrer Trauer um Manricos vermeintlichen Tod, in ein Kloster eintreten will. Während er loseilt um sie zu retten, will Luna Leonora entführen. Angeführt von Ruiz (Riccardo Botta) wird er von Manricos Leuten daran gehindert. So können Manrico und Leonora entfliehen.
Einen erfrischenden und fantasievollen Gegensatz zur Bühne bietet die Kostümierung von Mechthild Seipel. Besonders eindrucksvoll in der Klosterszene. Hier bieten die Nonnen mit den filigranen Hüten und blütenweissen Gewändern einen Kontrast zur bedrückenden Symbolisierung der blutüberströmten Soldatengräber und verleihen ihnen dadurch geradezu einen schwebenden Zustand.
Atto terzo:
Luna will die von Manrico besetzte Burg zurückerobern, weil er auch Leonora dort vermutet. Dabei wird Azucena aufgegriffen, die Luna sofort als vermutliche Mörderin seines Bruders erkennt und lässt ihre Hinrichtung vorbereiten.
Am Vorabend der Schlacht wollen Manrico und Leonora heiraten. Als im Ruiz aber von Azucenas Gefangennahme berichtet, wagt er sofort einen Angriff.
Hulkar Sabirova bringt in der Rolle der Leonora beinahe Unmenschliches zuwege. Meisterlich und mit scheinbar leichtfüssigem Sopran schafft sie es, besonders in der Arie "D'amor sull'ali rosee" gleichsam auf rosanen Schwingen, Koloraturen und Triller sicher und präzise auszusingen, um dann in den Höhen ganz leise und sanft den offenen Raum und die Herzen der Zuhörer auszufüllen. Eine Kunst, die nur echte Soprane bewerkstelligen können, wegen der Fähigkeit, höchste Töne ohne Druck zu erreichen.
Atto quarto:
Als dunkles Pendant dazu Okka von der Damerau, die einmal mit kraftvoller, voluminöser Altstimme und ausdrucksvoller Präsenz als Mutter des Troubardours überzeugt. Wie geschaffen für eine grosse Freilichtbühne bringt sie später im Finale in "ai nostri monti", im Gegensatz dazu die ganze Sanftheit mütterlicher Liebe zum Ausdruck. Ein atemberaubendes Spektrum der Gefühle!
Begleitet wird sie vom virtuos besetzten Tod, verkörpert von Valérie Junker. Engelsgleich fügt sich die Schauspielerin in die Szenerie um mit herausragender Darstellung Kindheit und Alter zu vereinen.
Als Manrico gefangen genommen wird, verspricht Leonora Luna, ihm zu gehören, wenn er ihn verschont. Sie nimmt aber heimlich Gift während Azucena und Manrico den Tod erwarten. Manrico, der Leonora Untreue vorwirft, erkennt erst nach ihrem Tod ihr Opfer. Luna ist jetzt nicht mehr aufzuhalten. Er richtet Manrico sofort, so dass Azucena zu spät enthüllen kann, dass dieser sein geraubter Bruder war.
Alfredo Daza, den einige bereits aus der Tosca kennen mögen, meistert die Rolle als Conte di Luna mit sicherem und klarem Bariton, den er der zeitweilig verbitterten und despotischen Figur perfekt anpasst.
Der britische Tenor Timothy Richards wirkt dagegen in seiner Titelrolle als Manrico (Trovatore oder Troubadour) etwas farblos und angestrengt. Besondern wenn ihn die Regie die Arien in sitzender Haltung singen lässt. Einige Lichtblicke bringen dann die Sequenzen nach der Pause, so dass es vermuten lässt, dass er stimmlich angeschlagen und deshalb auch die Höhen in der Prachtarie "di quella pira" verpatzt.
Die beiden Solisten Riccardo Botta und Gergana Geleva in den Nebenrollen als Ruiz und Ines begleiten die Protagonisten hingegen mit sauberen Einwürfen und stimmlich zuverlässigen Glanzleistungen.
14. St.Galler Festspiele.
Vorstellungen vom 29. Juni bis 13. Juli 2018
Infos und Tickets
Carmela Maggi
30. Juni 2019