Le Nozze di Figaro - Opernhaus Zürich
Denn sie wissen genau, was sie tun
Als Saisonabschluss steht Mozarts Posse, mit der Premiere von "Le nozze di Figaro" am Opernhaus Zürich, ganz im Zeichen des "Sex-Positivity und Machtmissbrauchs". Ob hier wohl nicht allzu krampfhaft nach einem Bezug zum aktuellen Motto gesucht wurde, sei dahingestellt. In der politisch hintergründigen Verwirrkomödie, halten nämlich alle Bühnenfiguren ihr Schicksal voll in der Hand. Nutzen voll List und Lust die gottgegebenen Waffen, um sich gewisse Vorteile zu verschaffen und stehen somit weit entfernt vom klassischen Opfer-Dasein. Von Regisseur Jan Philipp Gloger in die Moderne adaptiert, gestaltet sich die Produktion ansonsten frech und provokant. Vor allem hörenswert wird das Werk durch die musikalische Umsetzung des Leiters Stefano Montanari.
Keine Opfer in Sicht
Als Wolfgang Amadeus Mozart seine Oper "Le nozze di Figaro" 1786 in Wien uraufführte, war er bereits dreissig Jahre alt und stand im Dienst des habsburgischen Doppeladlers. Aus eigenem Antrieb entschied er das italienische Libretto von Lorenzo da Ponte zu vertonen. Damit stellte er sich gegen die Verbote des Kaisers Joseph II. Die beiden Künstler begaben sich damit auf eine heikle Gratwanderung. Der Kaiser hatte wohl nicht nur wegen des kritischen Blicks auf die Klassenunterschiede Bedenken. Auch die anstössigen Szenen waren für die damalige Zeit undenkbar. Besonders für ein Singspiel, das wegen der Aufführung im Burgtheater dem Renommee des Hauses dienen sollte. Mit List und Lust schafften es Komponist Librettist offenbar doch, den Kaiser umzustimmen und das Werk herauszubringen. Auch wenn der Erfolg nicht so gross wie erwartet ausfiel.
Wer Mozarts frühe Briefe kennt, weiss dass er alle Dinge beim Namen zu nennen wusste. Auch wenn die Zeilen nach dem Tod seiner Mutter deutlich gemässigter ausfielen, lehnte er jegliche Heuchelei, sei es auf kirchlicher, politischer aber auch auf erotischer Ebene, kategorisch ab. Sicher hätte er an der Modernisierung seiner Oper Spass gehabt. Wobei das von Regisseur Jan Philipp Gloger hervorgehobene Motto des Machtmissbrauchs in seinem Werk auf jeder Ebene mit gerissenen Manövern umgangen wird, um sowohl die Vorteile des anderen Geschlechts, als auch der Standesunterschiede zu nutzen. Also weit und breit keine der klassischen Opferrollen in Sicht. Vielmehr schicken sich alle Akteurinnen/Akteure mit messerscharfem Verstand in die Verstrickungen, die sie selbst erschaffen haben. Damit drehen sie den Spiess genüsslich zu ihren Gunsten um. Ganz von der Hand zu weisen das Thema Missbrauch dennoch nicht. Denn viele Gebräuche des Besitztums sind bis heute noch Usus. Ob diese Oper jedoch dazu geeignet ist, die ernsten Problematiken, wie "Me too" und Diskriminierung auf den Tisch zu bringen, mag jeder für sich selbst beantworten.
Vermessen
Damals galt es das sogenannte "Vorverkehrsrecht", also das Anrecht eines adeligen Hausherrn auf die Defloration der Braut eines Bediensteten in der Hochzeitsnacht. Graf "Conte di Almaviva" zeigt sich in dieser Hinsicht fortschrittlich, indem er auf dieses Recht verzichtet. Zudem verspricht er dem jungen Paar Figaro und Susanna eine ordentliche Mitgift. In der Absicht, dann doch zu gewissen halben Stündchen herüber hüpfen zu können, quartiert er das Paar in der Nähe seines Schlafgemachs ein, zersetzt damit also seine scheinheiligen Prinzipien.
"Cinque, dieci, venti, trenta…!" Figaro, der nicht nur Fenster und Bett vermisst, fällt gar nicht ein, sich das gefallen zu lassen und plant, seinem Herrn zu zeigen "il chitarrino le suonerò!", wo die Gitarre hängt. Um dem unwillkommenen Beischlaf zu entkommen und den Grafen blosszustellen, schliesst Susanna derweil einen Pakt mit der eifersüchtigen Ehefrau Contessa und plant einen abendlichen Identitätstausch. Dabei verstrickt sich das Paar nicht nur in den gräflichen Diensten, auch Figaros alte Schulden werden von der Rivalin Marcellina (Malin Hartelius) eingefordert.
Inmitten dieses Verwirr- und Versteckspiels springt Cherubino zwischen den Betten hin- und her und bespringt alle Damen, die nicht Eins Zwei Drei auf den Bäumen sind. Da er irgendwann nicht mehr weiss, wer er eigentlich ist und wo er sich befindet, verirrt sich auch schon mal in eine Ménage-à-trois.
Who is who?
Non so piû cosa faccio or di fuoco ora son di ghiaccio"; "Ich weiss nicht mehr was ich tue, anfangs aus Feuer erstarre ich nun zu Eis", so der ausgerollte Banner. Die Hosenrolle Cherubino, traditionell von einer Sängerin umgesetzt, scheint der preisgekrönten Mezzosopranistin Lea Desandre auf den Leib geschrieben. Sie spielt den Tausendsassa mit gerissenem Humor, setzt ihre mozarteske Stimme bei ihrer Arie, aber auch in den zahlreichen Rezitiativen und mehrstimmigen Passagen mit Präzision ein.
Ebenso lyrisch gestalten sich Bass und Bariton der männlichen Hauptakteure Daniel Okulitch als Conte di Almavia und Morgan Pearse als Figaro. In einem ausgewogenen Zusammenspiel fügen sie sich mit den beiden Sopranen Louise Adler als Susanna und Anita Hartig als Contessa auch in die mehrstimmigen Passagen ein. Wobei Louise Adler eine beinahe unmenschliche Leistung abliefert indem Sie die Arie "Gunise alfin il momento" teilweise liegender Position ebenso glasklar zu schmettern weiss. Dabei (immer wieder erstaunlich) füllt sie mit zartesten Tönen, ohne technische Hilfe und über den Orchesterklang hinaus, den Saal aus. Schade nur, dass Anita Hartigs unsichere Stützkraft an diesem Abend einer der wundervollsten Arien der Musikgeschichte nicht ganz gerecht wird; "Dove sono i bei momenti/Wo sind die schönen Augenblicke geblieben?"
Jedenfalls wird die italienische Artikulation von sämtlichen Vokalistinnen/Vokalisten akzentfrei umgesetzt, was längst keine Selbstverständlichkeit darstellt. So steht zum Abschluss der vollkommenen Vergebung aller Sünden "Contessa perdono", durch die hinreissende Darbietung des gräflichen Paars, in das Soli und Chor einstimmen, nichts mehr im Weg.
Stefano Montanari spannt in seiner Leitung mit Orchester und Chor gekonnt einen Bogen zwischen Dramatik und Komik. Die Gleichberechtigung gilt bei dieser Inszenierung auch für das Orchester. Für einmal spielt dieses nicht gesichtslos aus dem tiefen Graben, sondern darf leicht erhöht und ohne das Geschehen auf der Bühne visuell zu stören, für das Publikum präsent sein.
Insgesamt, nicht zuletzt dank den ansprechenden Bühnenbildern von Ben Baur, gestaltet sich die Produktion spritzig und witzig und doch so konzipiert, dass den Protagonistinnen/Protagonisten genügend Luft zum Singen bleibt. Ob vom Werk mit seinen dreieinhalb Stunden netto einige Längen herausgeschnitten werden dürften, gäbe es zu bedenken. Denn dabei brauchen nicht nur die Sängerinnen und Sänger einen langen Atem. Der vollbesetzte Saal jubelt dennoch.
Vorstellungen noch bis zum 10. Juli 2022
Infos und Tickets
Carmela Maggi
22. Juni 2022
Bildrechte: Opernhaus Zürich