*Der anonyme Liebhaber-St.Gallen | Oper und Kultur

Oper und Kultur

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*Der anonyme Liebhaber-St.Gallen | Oper und Kultur

Der anonyme Liebhaber - Theater St.Gallen

Fesseln der Seele

In einer Schweizer Erstaufführung präsentiert das Theater St.Gallen eine Rarität aus dem Jahr 1780. Der dunkelhäutige Komponist Joseph Bologne galt zu seiner Zeit als «Schwarzer Mozart». In seiner Oper «Der Anonyme Liebhaber» beschreibt er Teile des eigenen Lebens und wagt es, die Pariser Aristokratie mit komischen und tragischen Aspekten aufzumischen. Dem Team ist es in seiner Umsetzung gelungen, eine optisch und musikalisch ansprechende Produktion auf die Beine zu stellen, dessen Besuch sich in jedem Fall lohnt.

Tüll-Zauber in Weiss
Ob die Entscheidung, die Ausstattung komplett in Weiss zu gestalten, als zauberhaft-unschuldiger Akt gesehen werden kann, oder eher als Provokation, die zur Darstellung einer heuchlerischen Oberfläche dient, um mit der französischen Aristokratie abzurechnen, mag sich jeder selbst zusammenreimen. Jedenfalls ist die Ausstattung eine Meisterleitung des britischen Regisseur ULTZ, der für diesmal Bühne und Kostüme gestaltet hat. Mit seinem hinreissenden Traum in Tüll hat er den passenden, traditionellen Hintergrund geschaffen, der zugleich futuristisch und lasziv, den Blick auf Gestänge und Stützkorsette freigibt. Was auf den ersten Blick so seicht und leicht daherkommt, ist bei näherer Betrachtung dank der Inszenierung des britisch-nigerianischen Regisseurs Femil Elufowoju jr. in Zusammenarbeit mit dem Österreicher Sebastian Juen, eine Verwirrkomödie voller Gegensätze zwischen Schein und tragischem Sein. Die geschichtlich informativen Einwürfe des unsichtbaren Sprechers Kay Kysela helfen zusätzlich, die Dramatik hinter der Zuckerwatten-Romantik zu verdeutlichen.

Schwarzer Mozart?
Komponist Joseph Bologne, auch «Chevalier de Saint-Georges» genannt, wurde 1945 als Sohn eines Plantagenbesitzers in Guadeloupe und dessen Sklavin aus dem Senegal geboren. Trotz seiner, in Europa noch selten verbreiteten Hautfarbe, erfreute er sich in der Pariser Aristokratie zu Anfang grosser Beliebtheit. Mit musikalischem Genie, aber auch durch sportliche Vorzüge beim Fechten und Schwimmen, etablierte er sich wohl auch bei den Damen zum umschwärmten Liebling. Da mag die obligate Aufforderung zum Duell nicht lange ausgeblieben sein. Zwar kam er daraus als Gewinner heraus, wurde infolgedessen jedoch des Mordes angeklagt und starb durch die soziale Ächtung schliesslich verarmt. Auch seine Werke gerieten damit in Vergessenheit.

Frühklassische Schnörkel
Die Ausgrabung der Oper «Der anonyme Liebhaber», im Original «L’amant anonyme», in der Schweizer Erstaufführung, dient nicht nur der Rehabilitierung des Komponisten. Vielmehr bietet die Produktion eine wegweisende Gelegenheit, Künstlern in der Leitung, sich als Person of Colour auf dem klassischen Parkett beweisen zu dürfen, auf dem sie immer noch recht spärlich vertreten sind. Dasselbe Parkett eröffnet sich mit der Rolle des Ophémon aber auch für die Transgender-Thematik.
Die Musik des Komponisten, die sich mit üppigen schnörkeln zwischen Barock und Klassik bewegt, umschmeicheln zwar, wie Mozarts frühe Kompositionen, freundlich und angepasst die Ohren des Publikums, lassen jedoch dessen Genialität dann doch vermissen. Unter der musikalischen Leitung des US-amerikanischen Dirigenten Kazem Abdullah entstand dennoch eine flirrende Opernproduktion, die von Orchester und Chor in seinen herausfordernden Koloraturen sauber und akzentuiert umgesetzt wurde.
 
Ketten der Diskriminierung
Die Hauptrolle des teilbiografisch gefärbten Librettos singt Joshua Stewart, der sich in der Rolle des Joseph Bologne mit warmem, facettenreichem Tenor, trotz spürbarer Reserven mit mozartesker Leichtigkeit perfekt in die Akustik seiner Mitspieler*Innen einfügt. In Liebe zu Léontine entbrannt, die sich nach dem Tod ihres Gatten verschlossen hat, traut er sich nicht, ihr seine Gefühle direkt zu gestehen. Also überschüttet er sie mit anonymen Liebesbriefen, Blumen und Geschenken. Ophémon und Léontines Vertraute Dorothée helfen ihm dabei. Joseph schickt seiner Verehrten einen Strauss mit roten Rosen, den Sie zur Hochzeit Colin und Jeanette als Zeichen des Interesses mitbringen soll und wozu sie sich widerwillig überreden lässt. Während den Feierlichkeiten wird Joseph aber von Jakobinern verhaftet. Léontine, die inzwischen Gefühle für Joseph entwickelt hat, setzt sich für seine Freilassung ein, die auch gelingt. Doch die Bitterkeit innerer Ketten des von Diskriminierung geplagten Geliebten wiegen schwerer als die Befreiung von den äusseren.

Der bekannte Schweizer Bariton Äneas Humm ist als Ophémon, der sich als Chevalier d'Eon nur noch in Frauenkleidern präsentieren will, verkörpert mit einschmeichelnd lyrischen Passagen den besten Freund, den ein Mann sich vorstellen kann. Aber auch die bezaubernde Léontine, von der reich an Obertönen gesegneten, rumänischen Sopranistin Florina Ilie gesungen, schwingt sich zusammen mit ihren Mitstreiter*innen hoch in den Koloraturenhimmel. Libby Sokolowski als Dorothée, Jennifer Panara als Jeannette und Christopher Sokolowski als Colin brillieren sowohl in solistischen, als auch in den herausfordernden mehrstimmigen Passagen mit klarer, im Timbre aufeinander abgestimmter und auffallend präziser Intonation.

Auch wenn die Zuhörer*innen keine Ohrwürmer, die seinen Zeitgenossen W.A.Mozart so berühmt gemacht haben, mit nach Hause nehmen, unterhält und bezaubert der Abend dennoch in wertvoller und informativer Weise. Der beinahe voll besetzte Saal des «Umbaus» neben dem Theater St.Gallen, ist jedenfalls von tosendem Applaus erfüllt.


Vorstellungen noch bis zum 9. Dezember 2022
Infos und Tickets

Carmela Maggi
18. September 2022

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Bildrechte: Theater St.Gallen