*Giovanna d'Arco-17.St.Galler Festspiele | Oper und Kultur

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*Giovanna d'Arco-17.St.Galler Festspiele | Oper und Kultur

Giovanna d'Arco - 17. St.Galler Festspiele

Frankreichs Nationalheldin

Mit einer der eindrücklichsten Inszenierungen eröffnet das Theater St.Gallen die 17. Festspiele mit der Opernpremiere "Giovanna d'Arco". Bereits voll in der Planung der analogen Tschaikowski-Oper, entschied die Direktion, wegen der politischen Brisanz, kurzfristig auf die bereits 2008 an den Festspielen aufgeführte Verdi-Oper zurückzugreifen. Das sind grosse Herausforderungen für Regie und musikalische Leitung. Barbora Horàkové Joly und Modestas Pitrenas sorgen mit ihren Teams dennoch für ein unvergessliches Erlebnis.
 
Von Russisch auf Italienisch
Anfangs stand die Produktion der Open-Air-Oper für die 17. St.Galler Festspiele unter einem schlechten Stern. Nachdem wenige Wochen vor der Aufführung eine generelle Umdisponierung stattfinden musste, schien an der Premiere auch das Wetter nicht richtig mitspielen zu wollen. Der anfängliche Regen lichtete sich jedoch im Laufe des Abends, so dass sich die klösterlichen Schwalben auch dieses Jahr wieder an den Orchesterklängen erfreuen und die Bühne umkreisen konnten.
Geplant war ursprünglich, die Oper "Jeanne d'Arc" des Komponisten
Pjotr Iljitsch Tschaikowski aufzuführen. Wegen der aktuellen Geschehnisse in der Ukraine entschied die Direktion des Hauses, wenige Wochen vor der Aufführung, auf die analoge Verdi-Oper in Italienisch zu wechseln. Zu schmerzhaft die kriegerischen Handlungen des Librettos in Verbindung mit der russischen Sprache. Und eine unermessliche Herausforderung für das gesamte Team, alles neu proben und gestalten zu müssen!

Metamorphose
Als abschliessende Produktion des Mottos "Herstory" bietet Barbora Horàkové Joly, allen Hindernissen zum Trotz, eine Inszenierung, die direkt unter die Haut geht.
In einer Art simultanen Metamorphose stellt sie alle Figuren in zwei Zeit-Dimensionen, als Kinder und Erwachsene, gegenüber. Wie an das Matthäus Evangelium erinnernd "Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht eingehen ins Himmelreich", beginnt die Ouvertüre mit trauernden Eltern, die die Reste ihrer Kleinkinder in Kinderwagen vor sich her schieben und damit die eigene Kindlichkeit zu Grabe tragen. Auch Giovanna d'Arco, gesungen von Ania Jeruc, erhält ein stummes heranwachsendes Double, mitreissend dargestellt von Eva Leippold.
Der dominante Blick auf die Kinder gründet die Regisseurin aus dem Geschehnis in der Ukraine, wo das Theater in Mariupol beschossen wurde, das als Zufluchtsort gedient haben soll.

Grosse Hürden hatte, und besonders, Modestas Pitrenas in der musikalischen Leitung mit seinem Team zu meistern. Die neue Einstudierung mit Orchester und Chor wurden jedoch offenbar, dank geübten Musikern und Vokalisten, gekonnt überwunden, denn an der Aufführung sitzt alles bombensicher.
Dennoch stellt die Unberechenbarkeit der Akustik auf einer Open-Air-Bühne immer eine besondere Schwierigkeit dar. Auch wenn jedes Jahr die renommiertesten Tontechniker am Werk sind, können sich die Vokalist*innen nie allein auf ihr Gehör verlassen. Vielmehr sind sie darauf angewiesen, den präzise vermittelten Einsätzen des Dirigenten an den Monitoren zu folgen, was zu Beginn einiger Chor-Passagen kurzzeitige Diskrepanz zum Orchesterklang erzeugte.

Nationalheilige
Frankreichs Nationalheilige Jeanne d'Arc erzählt die Geschichte einer Kriegerin. Temistocle Solera stützt hierbei sein Libretto auf die Erzählung von Friedrich Schiller. Darin stellt die 13-Jährige wegen eines Traums ihr Leben in den Dienst der Nation und hilft dem schwachen König Karl VII das Land vor der Übernahme durch die Briten zu schützen. Die prophetischen Fähigkeiten werden ihr aber zum Verhängnis. Durch die Machenschaften der Kirche wird sie schliesslich als Hexe und Hure verrufen und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Ania Jeruc ist die perfekte Verkörperung der jungen, burschikosen Frau. Mit jugendlich-dramatischem Sopran gesegnet, führt sie alle Passagen sicher, wobei sie die Fähigkeit nutzt, in den Höhen die Schüchternheit eines Mädchens hinter Kettenhemd und Schwert zu verdeutlichen.
König Karl VII, durch Mikheil Sheshaberdize mit warmem und sicherem Tenor vertreten, verliebt sich in die Jungfrau, die den Engelserscheinungen ewige Keuschheit geschworen hat. Johanna lässt sich zwar darauf ein, bleibt jedoch, um die höhere Mission nicht zu gefährden, ihrem Schwur treu.
Verraten wird sie schliesslich von ihrem eigenen Vater Giacomo, von Evez Abdulla gesungen, dessen Bariton von der Besorgnis im feurigen Wahn endet. Um ihr geistiges Wohl besorgt, will der seine Tochter lieber tot sehen, als sie ihrem spirituellen Hochmut zu überlassen. So liefert er die junge Kriegerin an die Inquisition aus, die als kirchliche Institution im Prozess den vernichtenden Schlag gegen ihren Anhänger, den König, plant.

Sinnlosigkeit des Krieges
Die Handlung bewegt sich unter den zerbombten Tempelresten. Wobei Susanne Gschwenders Bühnenbild sich perfekt in die Kulisse des UNESCO Weltkulturerbes einpasst. Darin fügt sich auch die Kostümierung von Annemarie Bulla perfekt ein. Diese schlägt eine Brücke zwischen Altertum und Moderne, nimmt durch die Gestaltung der Engel sogar einen futuristischen Touch an.
Allzu sehr mahnen die aktuellen Geschehnisse. Hat die Menschheit bis heute nicht gelernt, dass ein Krieg nur Verlierer hervorbringen kann. So berührt auch die Schlussszene, in der "echte" Frauen, die mit kleinen und grossen Heldentaten für Zusammenhalt und Frieden propagieren. Damit leiten sie den Fokus, von der illusionsträchtigen Vorführung für einen Moment weg, in die Realität des Geschehens.


Vorstellungen noch bis zum 8. Juli 2022
Infos und Tickets

Carmela Maggi
26. Juni 2022
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Bildrechte: Theater St.Gallen