L'Orfeo- Opernhaus Zürich
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Zum Abschluss eines Monteverdi-Zyklus feiert das Opernhaus die Premiere der ersten, umfassenden Oper in der Musikgeschichte überhaupt: "L'Orfeo". Ein wahrhaft gelungener Balanceakt zwischen Antike und Moderne, die sich dem Publikum präsentiert. Das "Orchestra La Scintilla", unter der Leitung von Ottavio Dantone, erschaffen zusammen mit der Zürcher Sing-Akademie den hochspezialisierten und homogenen Rahmen für die Zartheit dieser Komposition. Ausgemalt durch die agierenden Solo-Sängerinnen und -Sänger sicherlich eine für das Ohr des Opernpublikums eher ungewohnte Tonalität, die sich aber mit dem jubelnden, voll besetzten Zuschauerraum zum vollen Erfolg entpuppt.
Monteverdi-Zyklus
Das Opernhaus Zürich pflegt bereits seit langer Zeit die Werke des italienischen Komponisten aus der Epoche des Barock. "L'Orfeo" wurde allerdings zuletzt im Jahr 1979 aufgeführt, im Rahmen eines Monteverdi-Zykuls unter Nikolaus Harnoncourt. Andreas Homoki hat diese Tradition in seiner Fuktion als Intentant nun fortgesetzt. Nach."Il ritorno d’Ulisse in patria", "L'incoronazione di Poppea", das Ballett "Monteverdi" von Christian Spuck zu den Madrigalen und Lamenti des Komponisten, bildet die heutige Premiere ebenfalls das Ende eines Zyklus.
Um dem barocken Charakter der "Favola Musica mit Prolog in vier Akten" gerecht zu werden, engagiert das Opernhaus mit dem "Orchestra La Scintilla" mit alten Instrumenten vertraute MusikerInnen unter der Leitung von Ottavio Dantone. Gemeinsam mit der Zürcher Singakademie, sonst für konzertante Aufführungen bekannt, erschaffen Sie einen hoch spezialisierten und homogenen Rahmen für dieses filigrane Werk, das heute als allererste Oper in der Musikgeschichte gilt. Eine Herausforderung auch für die Solistinnen und Solisten. Nicht nur wegen des textlastigen "recitar cantando" (sprechender Gesang), sondern auch, in Ermangelung detaillierter Ausführungen, was die Interpretation betrifft. Wie Krystian Adam, Solist der Titelrolle an der vorgängigen Matinée erörtert, waren die SolistInnen für die Einstudierung gefordert, den Hauptteil ihrer Verkörperung in sich selbst zu finden.
Favola Musica mit Prolog in vier Akten
Claudio Monteverdi (1567-1643) gilt heute als der Erfinder der Kunstform Oper überhaupt, auch wenn im Vorfeld ähnliche Formen bereits zur Aufführung kamen. In einer Zeit, bei der vor allem die orchestrale Musik, nicht wie heute, als alltägliche Selbstverständlichkeit galt, war sie lediglich der Upper Class zu Repräsentationszwecken vorbehalten. Mit Ausnahme der Kirchenmusik und den Minnesängern auf der Strasse.
Der Komponist erschuf mit seinem Werk eine innovative Kunstform, indem er sich über die Regeln seines Gegenspielers Giovanni Artusis hinwegsetzte und damit die Grenzen des Vorstellbaren sprengte. Damit ermöglichte Monteverdi, Emotionen in die Erzählung einer Geschichte mit musikalischen Mitteln zum Ausdruck zu bringen. Bis heute sind seine Werke, die eines wahren Italieners, extrovertiert, lebendig und aus dem Inneren glühend.
Die Uraufführung fand 1607, in einer Art akademischer Veranstaltung, in einem beengten Saal des herzoglichen Palasts in Mantua statt. Aufgrund der beengten Verhältnisse vermutlich ohne Kulissen und spielerische Freiräume. Die Anzahl des anwesenden Publikums musste jedenfalls kleiner gewesen sein, als die der musizierenden und singenden Besetzung. Ob der Komponist, ähnlich wie Gustav Mahler mit seinen Kindertotenliedern, in "L'Orfeo" den baldigen Verlustes seiner geliebten Ehefrau, die Hofsängerin Claudia Cattaneo erahnte? Ob er wohl ähnlich wie sein Titelheld vom (heiligen) Vater getröstet sein künftiges Glück in einem geistlichen Stand und seiner schöpferischen Arbeit finden konnte? Prophetische Parallelen sind jedenfalls zu finden.
Zwei Tode
Die Handlung von "L'Orfeo" basiert auf der Griechischen Mythologie Orpheus und Eurydike. Orpheus, Sohn Apollons und der Muse Kalliope, erhält von seinem Vater eine Leier, die heller und klarer tönte, als je ein Instrument erklingen könnte. Mit seinem Spiel und Gesang liess er die Menschen Zeit und Ort vergessen.
Damit erhielt er zudem die Fähigkeit, sich zwischen den Welten bewegen und damit selbst über den Tod hinwegsetzen zu können. Er folgt seiner Gemahlin Euridice, die nach der Hochzeit einen tödlichen Schlangenbiss erlitt, in die Unterwelt. Dort muss sie einen zweiten Tod erleiden. Orfeo, der die Erlaubnis erhält, sie in das Leben zurückzuholen, missachtet, weil er seinem Herzen nicht traut, das Verbot und sieht sich nach ihr um.
Euridice für immer verloren, versinkt Orfeo in hoffnungsloser Trauer. Apollon, von Mark Milhofer ausdrucksstark verkörpert, steigt im glitzernden Sternenkleid vom Himmel hinab, um seinen Sohn zu trösten. Er versucht ihm das ungeahnte Paradies in den schöpferischen Dingen nahe zu bringen. Wählt Orpheus in der Inzenierung von Evgeni Titov die Hölle in Zweisamkeit oder das Paradies in der Einsamkeit?
Hölle der Leidenschaften
Das Team des Opernhauses schafft in der Umsetzung den heiklen Balanceakt, die Erzählung von der Antike zum Barock auf eine feinsinnige Art in die Moderne zu transportieren. Nicht zuletzt durch das Ausstattungsteam Chloe Lamford und Naomi Daboczi, die mit einer geschmackvollen aber schlichten Bühnengestaltung den idealen Hintergrund für die hochwertigen und aussagekräftigen Kostüme von Annemarie Woods bildeten. Mystisch filigran erschienen neben den DarstellerInnen die Geistergestalten dank der nahtlos eingefügten Videoprojektionen von Tieni Burkhalter.
Äusserst markant gestaltet sich die Figur des Caronte, der als sprechendes Tor zur Unterwelt fungiert und durch das die imposante Bassstimme von Mirco Palazzi erklingt, die die Gemüter zugleich zum Schaudern und Schmunzeln bringt. Ebenso eindrücklich Josè Maria Lo Monaco die in drei Rollen, La Musica, Messaggera und Eco, zwischen Sopran und Mezzo brilliert. So auch Miriam Kutrowatz, die in passend zaghafter Weise die zartgliedrige Euridice verkörpert, wie auch die schweizerisch-kanadische Mezzosopranistin Simone McIntosh als Speranza und Prospertina. Sie debütiert in ihrer Rolle wie auch Isabel Pfefferkorn als Ninfa.
Den grössten und zweifellos verdienten Applaus erntet Krystian Adam in der Titelrolle. Ein wahrhafter Kraftakt, den der polnische Tenor stimmlich und emotional leistet. Er bewegt sich scheinbar mühelos zwischen Himmel und Hölle, bis er gänzlich Pechverschmiert zu einem unverhofften Ende findet, für das sich der Regisseur eine eigenwillige Schlussfolgerung ausgedacht hat.
Vorstellungen noch bis zum 16. Juni 2024
Infos und Tickets
Carmela Maggi
17. Mai 2024
Bildrechte: Opernhaus Zürich