*Cinderella - Theater St.Gallen | Oper und Kultur

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Cinderella - Theater St.Gallen

Der Traum vom Fliegen

Nach dem zweiten Lockdown feiert das Theater St. Gallen mit "Cinderella" die erste Tanz-Premiere im Ersatzbau. Zwar nur mit 50 Zuschauern, aber immerhin. Das berühmteste Märchen der Welt wurde mithilfe des Leitungsteams in einen Geniestreich verwandelt. Aufgrund der Pandemieauflagen war es Chefdirigent Modestas Pitrenas nicht möglich, mit dem Orchester live zu spielen. Minutiös erarbeitet, liefert er jedoch in enger Zusammenarbeit mit dem Choreografen Kinsun Chan eine massgeschneiderte Ton-Einspielung von Prokofjews Ballet.

Goldenes Zeitalter
Die Zahl 50 scheint beinahe prophetisch über der Produktion zu schweben. Mit limitiertem Publikum von 50 verkauften Premiere-Plätzen feiert das Theater St.Gallen die erste Tanz-Premiere im Provisorium "Umbau".
Dafür verpasst Leiter der Kompanie Kinsun Chan Prokofjews Werk "Cinderella" einen komplett neuen Anstrich. Indem er das Werk in die 50er-Jahre und das goldene Zeitalter der Flugreisen versetzt, nimmt er Optimismus und Aufbruchstimmung nach dem zweiten Weltkriegs auf.
Der ukrainische Komponist Sergei Prokofjew schrieb das Ballett gegen Ende des zweiten Weltkriegs. Ganz im Sinne des sozialistischen Realismus, legte er das Schwergewicht des Märchens nicht auf den Weg von Armut zu Reichtum, sondern auf den Sieg des Guten und Einfachen über Habgier, Arroganz und Unterdrückung.

Obwohl die Thematik vollständig amerikanisiert wurde, adaptiert die Inszenierung den sozialistischen Gedanken in den Pas des deuxs. Zum Airline-Piloten umfunktioniert wandelt sich der Prinz vom weltmännischen Kosmopoliten, mit angeberischen Manieren und von allen Frauen begehrt, zum bescheidenen und durch wahre Liebe geläuterten Menschen. In allen Facetten treffend dargestellt von Pirat Scott. Mit seiner Auserwählten befreit er sich aus der Knechtschaft falscher Abhängigkeiten, um endlich mit ihr davon fliegen zu können.

Chefdirigent Modestas Pitrenas steht mit seinem Orchester vor einer besonderen Herausforderung. Zum Schutz vor Corona entscheidet das Theater, die Musik nicht live aus dem Orchestergraben erklingen zu lassen. In enger Zusammenarbeit mit Kinsun Chan packt Pitrenas deshalb seine Interpretation der anspruchsvollen Partitur, minutiös auf die Choreografie angepasst, in eine Ton-Einspielung. So fühlt es bei dieser Premiere ein bisschen an wie beim Film. Allzu selbstverständlich die Anwesenheit der beschwingten Komposition, die in genialer Weise für modernere Tanzeinlagen als Swing oder Twist ausgelegt werden.


Kleider machen Leute
Genau so beschwingt setzt Bühnenbildnerin Anja Jungheinrich, mithilfe von Moor Zabars Kostümen, alle Szenen in dreidimensionale Aufklappbücher. Führt damit in die Traumwelt der Hauptfigur Cindy, die sich als Putzfrau ihr Auskommen verdient. In einer schmerzhaften Abhängigkeit gefangen, träumt diese vom Fliegen. Dafür hat die Tupperware-Dame (Spanne Küpper) die passenden Utensilien in ihren Dosen dabei. Als gute Fee verhilft sie dem Mädchen beim Betriebsfeier-Ball zu einem grandiosen Auftritt. Die Kostüme sind durchwegs eine Wucht und erschaffen den Übergang von der Traumwelt in die Realität.

Cinderella, feingliedrig und differenziert dargestellt von Naiara Silva de Matos, träumt den Amerikanischen Traum. Ihr Name wird kurzum in Cindy Rella umgewandelt. Anstelle von Glitzerkleid und gläsernen Pantoffeln dienen das tiefrote Blumenkleid mit passenden Lackpumps und langen Handschuhen, von denen sie einen verliert.
Die Stiefschwestern, wir alle kennen die Story, watscheln händeringend herum und ärgern sich über die Traumtänzerin. Beide Rollen werden mit den männlichen Tänzern Fiorent Operto und Minghao Zhao ideal besetzt. Deren Choreografie unterstreicht Tapsigkeit und bemühte Eleganz mit humoristischem Touch.

Energie folgt den Gedanken
Zwischen Beschwingtheit und Humor erscheint in dramatischen Passagen eine Gestalt des Schattens samt Gefolge. Markant dargestellt von Lorian Mader, der die Protagonisten, wie ein böser Magier, von ihrem Glück abhalten will. Ein wenig erinnern die Gestalten an die energiesaugenden und einschränkende Gedanken einflüsternden Dementoren der Harry Potter-Romane und bringen damit Tiefe in den Sinn der Erzählung, die sich rundum durchdacht und gefällig präsentiert.

Vorstellungen bis zum 22. Mai 2021

Infos und Tickets

Carmela Maggi
23. April 2021
(Bildmaterial mit Genehmigung des Theaters St.Gallen)