*Serse-Theater Winterthur | Oper und Kultur

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Georg Friedrich Händel "Serse" (Xerxses) - Theater Winterthur

Battle der Rivalen

Das Internationale Opernstudio präsentierte gestern in einer neuen Premiere die Oper "Serse". Das Liebes-Wirrwarr, in barocke Klänge eingebettet, wurde mit einer schlüssigen Inszenierung von Nina Russi in die heutige Zeit adaptiert, ganz passend zu den jugendlichen Akteurinnen und Akteuren. Der Komponist Georg Friedrich Händel hat in seinen Opern jeweils männliche Parts für damalige Kastraten (heute Counter) eingebaut. Die beiden "Hosenrollen" wurden diesmal von weiblichen Solistinnen verkörpert, was in der Konsequenz anbot, die Genderfrage generell auf den Kopf zu stellen. Unter der musikalischen Leitung von Markellos Chryssicos bleibt Musikkollegium Winterthur der Zeit zwar getreu, nimmt sich aber auch die Freiheit für freche Rockpassagen.


"Jeder Schmerz würde leicht, könnte man sich verlieben und entlieben, wie man will."
Die männlichen Hauptrollen Serse (auch Xerxes genannt) und Arsamene, von Georg Friedrich Händel für die damaligen Kastraten geschrieben, werden in der Tonlage Sopran, Mezzo oder Alt gesungen. Heute können diese Parts sowohl von Countern, aber ebensogut von weiblichen Solistinnen in sogenannten Hosenrollen verkörpert werden. Demzufolge bietet sich für die Regisseurin Nina Russi an, die Genderfrage generell auf den Kopf zu stellen und die Oper, mit ihren Liebeswirren durch eine schlüssige Inszenierung in die Neuzeit zu transportieren.
Die beiden ungleichen Brüder lieferten sich an der gestrigen Premiere ein Battle im doppelten Sinn. Ensemblemitglied Siena Licht Miller, in der Titelrolle fahnenführend kämpfte gegen Simone McIntosh als Arsamene, die ihr stimmlich, wie spielerisch in nichts nachstand. Unter teils besinnlichen, teils lasziven Liebeswerbungen, buhlen sie mit unterschiedlichsten Mitteln, passend zu entgegengesetzten Beweggründen, um die Gunst von Romilda (Yewon Han), die sich kein X für ein U vormachen lässt.

Wenn es doch so einfach wäre
… dann gäbe es nichts zu erzählen. Wer das Libretto zur Oper geschrieben hat, blieb der Musikgeschichte bis heute entsagt. Geblieben ist nur die umwerfende Schönheit von Händels Musik. Der Barock-Komponist war wohl nicht der umgänglichste Zeitgenosse und schreibt dazu leicht verächtlich: "Das Gewebe dieses Dramas ist so überaus leicht zu verstehen, dass es den Leser nur beschweren würde, ihm zur Erklärung eine lange Inhaltsangabe vorzusetzen."
Ähnlich wie bei einer späteren Oper des Kollegen Mozart "Le Nozze die Figaro", ebenfalls in italienischer Sprache verfasst, wirft die Geschichte ernste Themen der Liebe in einen Amüsement-Topf und mischt die Zutaten mit kräftigen Gewürzen von Missverständnis, Intrigen und Verwirrung kräftig durch.

"Jeder Schmerz würde leicht
… könnte man sich verlieben und entlieben, wie man will." Der persische Herrscher Serse vertieft sich mit der unvergesslichen Start-Arie "Ombra mai fu" in die Meditation zu seinem Lieblingsbaum. Im Gegensatz zu seinem Bruder Arsamene bleibt er ganz bei sich und holt sich erfolgsverwöhnt alles was er will. Arsamene, eher einer von der Sorte leidend-romantischer Bohemian, verliebt sich in Romilda , die seine Gefühle erwidert und dafür ihr schönstes Liebeslied zutage bringt. Serse, der Romilda hört, verguckt sich ebenfalls in sie, bedient sich aller lauteren und unlauteren Mittel, die Schönste für sich zu gewinnen. Dafür verbannt er seinen Bruder vom Hof als er bemerkt, dass dieser sein Rivale ist.
Serses verliebte Verlobte Amastre (Freya Apffelstaedt), 1738 in der Londoner Uraufführung als Mann verkleidet, wird für diese Inszenierung in die Kleider einer Dienerin gesteckt. So kann sie sich ihrem Zukünftigen ebenfalls unerkannt nähern, somit besser in Augenschein nehmen. Doch das böse Erwachen einer Frau sei stets zu fürchten. So auch bei Atalanta (Chelsea Zurflüh), die Ihrer Schwester Romilda die Hölle heiss macht indem sie den König bittet, sich für eine Heirat mit Arsamene einzusetzen.
Und was könnte es zwischen all den verzweifelten Liebenden treueres geben, als der schwule beste Freund. Also wird die Rolle des Dieners Elviro handkehrum in einen schrillen Drag gewandelt, der von Gregory Feldmann in seiner Gänze ausgekostet wird. Er schafft es dann auch, alles wieder in dir rechten Bahnen zu leiten.

Bravi tutti
Mit glasklaren Koloraturen und Trillern in Arie und Rezitativ, führt Siena Licht Miller in der Titelrolle die Protagonistinnen und Protagonisten des Szenarios an und baut die vom Komponisten zugelassenen Interpretationen ein. Etwas, was in Barock und Klassik kaum vorkommt, ist die Möglichkeit des spielerischen Umgangs mit den Tonläufen. Dies einzubauen verlangt, ähnlich wie beim Jazz, nach Selbstsicherheit resultierend aus Routiniertheit und fundierter musikalischer Kompetenz. Ihr Gegenpart Simone McIntosh als Arsamene steht Miller in allen Punkten in nichts nach.
In der Performance zunehmend präsenter zeigt sich der volle, warme Contralto von Freya Apffelstaedt, der im letzten Akt mit dem Ablegen des Bediensteten-Kittels noch richtig auflebt. Bei der Präsenz lässt es hingegen Gregory Feldmann als Elviro von Anfang an richtig krachen. Dankbar dafür natürlich die Drag-Kostümierung von Annemarie Bulla. Auch die Kostümierung von Chelsea Zurflüh als Atalanta bot sich für einige Knallerposen an, hinter denen der Liebeskummer sich mit dem Schmerz des Selbstzweifels rund um die Schönheitschirurgie koppelt. Beide brillierten ebenfalls bejubelten Passagen. Dazwischen agiert die junge koreanische Sopranistin Yewon Han als Romilda, mutig in einen pubertärem Look gehüllt, aus ihrem Jugendzimmer heraus. Auch sie führt alle Arien und Rezitative mit Klarheit, weiss sich zwischen allen Wirren auch um den gebeutelten Vater, von Bemjamin Molonfalean mit urkomischem Talent interpretiert, zu wehren und schliesslich ihrem Herzen zu folgen.
Insgesamt waren die unverbrauchten Stimmen an diesem Abend eine Wohltat für die Ohren, wenngleich das transportieren der Emotionen und damit die ZuschauerInnen in den Bann zu ziehen noch einiges an persönlicher Entwicklung und Sicherheit bedarf. Das ist nicht ungewöhnlich und eine schöne Aussicht auf das wachsende Leben.
In einer schlüssigen Transportation zum Libretto durch die Regisseurin Nina Russi ist es Ruth Stofer in ihren Video Installationen gelungen, eindrückliche emotionale Effekte einzufangen. Das klar gegliederte Bühnenbild von Julia Katharina Berndt, geschoben von in Weiss gekleideten Statisten, bildet dafür den mannigfaltig einsetzbaren Rahmen. Musikalisch originalgetreu, aber auch spritzig untermalt vom Musikkollegium Winterthur unter der Leitung des griechischen Dirigenten Markellos Cryssicos ist die Aufführung, bis auf den letzten Platz gefüllt, insgesamt ein voller Erfolg, den das Publikum johlend zu würdigen weiss.

Das Internationale Opernstudio
Gegründet und unterstützt wird das Internationale Opernstudio unter dem Patronat der "Freunde der Oper Zürich". Bereits vor 32 Jahren gegründet, gilt sie als wichtige Ausbildungsstätte für angehende Opernsängerinnen und -sänger aus internationaler Herkunft. Unter professioneller Anleitung erhalten sie hier die Möglichkeit, ihre ersten künstlerischen Sporen zu verdienen und damit einen Einstieg in die Berufswelt. Die Aufführung "Serse" ist eine der jährlichen Eigenproduktionen, die den KünstlerInnen die Gelegenheit gibt, sich zu beweisen.

Vorstellungen noch bis zum 17. Mai 2023, Theater Winterthur
Infos und Tickets

Carmela Maggi
7. Mai 2023

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Bildrechte: Opernhaus Zürich