*Nabucco-St.Gallen | Oper und Kultur

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Nabucco - Theater St.Gallen

Blutlinien

Als Giuseppe Verdi die Oper Nabucco schrieb stand er an einem Wendepunkt. Schon früh im Leben von Schicksalsschlägen geschüttelt, hatte sich der Komponist vorgenommen, nie wieder eine Note zu schreiben. Die Zeilen auf dem zu Boden geworfenen Libretto "Va pensiero…!" brachten jedoch einen entscheidenden Wendepunkt sein Leben. Das Theater St.Gallen nimmt mit dieser Coproduktion den dramatischen Gedanken in Regie, Bühnengestaltung und musikalischer Umsetzung meisterlich auf und bietet vor allem in den Chorpassagen echte Gänsehautmomente.

Damit präsentierte das Dreispartenhaus nach 15 Jahren eine neue Premiere von Verdis Nabucco. Inszenierung und Bühne dieser Coproduktion der Ópera de Oviedo zeigen sich monumental, opulent und zugleich ansprechend neuzeitlich. Ganz wie es dem Werk gerecht wird. Umgesetzt vom Ensemble des hiesigen Theaters und neuer Solobesetzung unter der musikalischen Leitung von Hermes Helfricht. Gerade einmal 24-jährig hat Helfricht 2016 die Leitung des Sinfonieorchesters übernommen.

Auf goldenen Schwingen
"Va pensiero sull’ali dorate!" Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen! Es waren diese Zeilen aus Soleras zu Boden geworfenem Libretto, die Giuseppe Verdi aus seiner Trauer über die familiären Schicksalsschläge heraus katapultieren und sein Leben verändern sollten. Zeilen, die ihn nach eigenen Erzählungen bewegt haben sollen mit
Nabucco ein monumentales Werk zu verfassen. Die Uraufführung vor 175 Jahren an der Mailänder Scala machte den genialen Musikverstand des damals noch jungen Komponisten weltberühmt. Nach den ersten drei Opern sollten noch neunundzwanzig weitere folgen. Ein Glück für die Musikwelt also. Kapellmeister Hermes Helfricht begibt sich in seiner Arbeit auf den Pfad des Komponisten der alle Stimmungen mit verschiedensten Tonarten vortrefflich auszudrücken vermochte. "Wenn ein Höhepunkt den nächsten Jagd, wird es schwierig, klare Akzente zu setzen", erzählt er an der Matinee. Mit zuweilen rasend schnellen Tempi lässt der Maestro kaum Atempausen und erst Recht keine Langeweile aufkommen.

Rot wie Blut
Die Leitfarbe Rot, Farbe des Blutes, bringt das Leitungsteam in verschiedensten Schattierungen bedeutungsschwanger zum Ausdruck. So bekommt der Begrüssungsvorhang eine neue und zentrale Dimension. Die goldene Bordüre wird von roten Schnüren, gleichsam Blutlinien, gehalten, die die hebräischen Gebetstafeln durchscheinen lassen. Regisseur Emilio Sagi, durch Javier Ulacia vertreten, erschafft damit zusammen mit Bühnenbildner Luis Antonio Suárez und Lichtgestalter Alfonso Malanda ein perfektes Ambiente, das sich majestätisch in die Betonumrandung der grossen Bühne einfügt. Ohne jemals brutal oder überladen zu wirken, überlässt die Inszenierung den Fokus dem Gesang. Vor der Chorpartie "Va Pensiero" wird das Publikum gar mit einem besonderen Effekt überrascht.

Biblische Geschichten
Das Libretto mit vier Akten entstammt der biblischen Grundlage und hat, ganz typisch für Verdis Opern, politische Hintergründe. In Erwartung eines Angriffs beten die Hebräer im Tempel von Jerusalem um Schutz vor den Babyloniern und deren König Nabucco (Damiano Salerno). Zaccaria (Tareq Nazmi) hat die Königstocher Fenena als Druckmittel in seiner Gewalt. Fenenas Geliebter Ismaele (Demos Flemotomos) möchte sie aus der Gefangenschaft befreien, wird aber von Fenenas vermeintlichen Schwester Abigaille (Raffaella Angeletti) erpresst. Ebenfalls in Ismaele verliebt, verspricht sie Fenena zu verschonen, wenn dieser sich zu ihr (Abigaille) bekennt. Ismaele bleibt jedoch standhaft, selbst als die Hebräer von Nabuccos Armee eingenommen und Fenena kurz davor steht getötet zu werden. Also wird der Tempel zerstört, niedergebrannt und die Hebräer in Gefangenschaft genommen.

Verdistimmen
Verdi verlangt für seine Solopartien ein aussergewöhnlich umfangreiches Stimmvolumen und breite Facherfahrung. Besonders die Sopranistin soll alle Facetten, von Drama bis Koloratur, Sopran bis zum Mezzo beherrschen. Eine Herausforderung, die die Auswahl der Soli schwierig gestaltet haben dürfte. Damiano Salerno beschert dem Publikum als Nabucco mit leichtfüssigem, tenorigem Bariton und glaubhafter Darstellung wahrhaft königliche Momente, während seine Gegenspielerin Raffaella Angeletti als Abigaille zu Anfang an den anspruchsvollen Arien zu zerbrechen scheint. Unerwartet Raumerfüllend erscheint die Sopranistin jedoch in den sanfteren Partien nach denen sie mit Leichtigkeit zu Passagen wechselt in denen sie wahrhaft Gift zu verspritzen scheint. In den dramatischen Passagen, technisch sichtlich angestrengt, bewegt sie sich jedoch zuweilen an den Grenzen ihres stimmlichen Potenzials.

Mit seinem Debüt überzeugen konnte Tareq Nazimi als Zaccaria. Eine Präsenz, die er nicht zuletzt seinen zwei Metern Körpergrösse verdankt und der Bassstimme, die bis in die tiefsten Lagen noch unangestrengt sauber klingt, erschafft er Momente, die zuweilen den Bühnenboden beben lassen. So auch Susanne Gritschneder, die ebenfalls in der Rolle als verliebte Fenena debütiert und in den Arien jede Note voll ausschöpft. Ihr bodenständig sanfter Mezzo meistert Ton für Ton souverän und verschafft der Liebe zu Ismaele, wo nötig gegen Chor und Orchester, stimmgewaltig Gehör. Auffallend vielversprechendes Talent zeigte vor allem der junge griechische Tenor Demos Flemotomos, der mit schönem, herzvollem Tenor als Ismaele seine Liebe zu Fenena an das Publikum weiterzutragen vermochte.

Gänsehautmomente
Nabucco ist aber in erster Linie durch seine wundervollen Chorpartien bis heute einer der meistgespielten Opern der Welt geblieben. Diesbezüglich kommen deren Liebhaber in St.Gallen voll auf ihre Kosten. Nicht zuletzt dank der Einstudierung durch Michael Vogel erschaffen der Chor des Theaters, unterstützt vom Opernchor St.Gallen, echte Gänsehautmomente und ernten dafür den grössten Applaus.


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(mit freundlicher Genehmigung des Theaters St.Gallen)

Carmela Maggi
14. März 2017