*Nussknacker - Opernhaus Zürich | Oper und Kultur

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*Nussknacker - Opernhaus Zürich | Oper und Kultur

Nussknacker - Ballett, Opernhaus Zürich

Nussknacker tanzt sich frei

Mit der Tschaikowski-Premiere fährt Regisseur und Chef-Choreograf Christian Spuck mit der neuen Saison des Opernhauses weiter. Doch wer beim klassischen Ballett „Nussknacker und der Mausekönig“ eine amerikanisierte Weihnachtsromantik erwartet, wird angenehm überrascht. Denn die Geschichte wird in ihrem Ursprung erzählt und, im Gegensatz dazu, in der Musik von Paul Connelly ganz neu zusammengewürfelt.

Verblüffung statt Zuckerstangen
Anlässlich des 125. Geburtstags nach der Uraufführung feiert das Opernhaus Zürich das Ballett „Nussknacker und Mausekönig“. Christian Spuck führt bei Inszenierung und Choreografie die Tänzerinnen und Tänzer, fern der amerikanisch-weihnachtlichen Zuckerstangenromantik mit den obligaten Geschenkebergen, in ein altes Revuetheater und damit direkt an den Ursprung der Geschichte Hoffmanns, die eigentlich ein Drama ist.
Die Bühne, von Yannis Pouspourikas entworfen, bildet dabei den perfekten Hintergrund für die tanzenden Geschichtenerzähler*innen, eingekleidet mit atemberaubenden Kostümen von Buki Shiff. Die Kostümbildnerin erschafft mit zeitübergreifenden Stilen, vom Barock bis zur Jahrhundertwende, die Übergänge zwischen Traum und Realität.
Das Stück wird nicht von hinziehender Dramatik beherrscht. Vielmehr greifen die Szenen Schlag auf Schlag ineinander und schaffen Übergänge von der Realität in die Traumwelt. Mit vielen kleinen und grossen Zauberstücken die die Zuschauer verblüffen, ja gar laut aufstaunen lassen.

Neu gewürfelt
Um sich vom herkömmlichen Revuecharakter zu verabschieden und die Geschichte in ihrer ursprünglichen Form überhaupt erzählen zu können, sah sich der Musikalische Leiter Paul Connelly gezwungen, Tschaikowskis Musik in einer vollkommen neuen Reihenfolge zu spielen.
Was den Maestro einiges an Vorarbeit gekostet haben dürfte, stellt Musiker und Tänzer vor horrende Herausforderungen.
Eine echte Knacknuss sei es vor allem gewesen, die musikalischen Übergänge neu zu erschaffen. Connelly setzt tatsächlich die lebendigen Tempi verschiedener Folkloretänze auf den Punkt ein. So begleitet er etwa die Verwandlung der Prinzessin Pirlipat in das Nüsse verspeisende Monster mit dem Spanischen Tanz, angeführt von Kastagnetten. Absolut genial auch die Idee, den berühmten „Tanz der Zuckerfee“, für den der Komponist erstmals eine
Celesta vorgesehen hatte, kurzerhand in den Schlussszenen einzugesetzen, in der die Kinder aufwachen und zur realen Welt zurückkehren.

Gespannt dürfte die Kompanie dabei sein, wie der Mix im Bolschoi-Theater ankommen wird, das für seine Traditionstreue berühmt ist. Hier wird nämlich die Produktion am 28. Und 29. November 2017 zu Gast sein. An der gestrigen Premiere in Zürich liess sich das Publikum jedenfalls hell begeistert in die fabelhaft erzählte Geschichte von E.T.A Hoffmann entführen.

Zwischen Märchen und Realität
Marie (Michelle Willems) und ihr Bruder Fritz (Daniel Mulligan) besuchen ihren Paten Drosselmeier in seiner Uhrmacherwerkstatt. Der erzählt den beiden die Geschichte der Prinzessin Pirlipat (Giulia Tonelli) an drei aufeinanderfolgenden Abenden. Hier verschwindet die Szenerie im magischen Uhrwerk, in dem die Puppen (Yen Han und Matthew Knight) lebendig werden. Auf dem Fest, vom Hofstaat zu Ehren der Prinzessin gehalten, erscheint eine Maus. Weil diese die Zeremonie stört, wird sie von den Gästen erstochen. Aus Rache am Tod ihres Verwandten dringt plötzlich eine Armee von Mäusen, angeführt von ihrer Königin, Frau Mauserinks (Mélissa Ligurgo), in das Schloss ein.

Aus Strafe verwandelt die Mausekönigin Pirlipat in ein schreckliches Nussmonster, das mit grossen Zähnen nur noch Nüsse knacken will. Doch nur die harte Nuss Krakatuk mit dem süssen Kern kann die Prinzessin von diesem Bann erlösen. Die vier Prinzen, die um ihre Gunst buhlen, versuchen sie zu retten. Doch nur ein weiterer Prinz hat die richtige Nuss bei sich (William Moore). Er allein schafft es, die Nuss aufzubeissen und Pirlipat den süssen Inhalt zu geben, der die Prinzessin in ihre ursprüngliche Gestalt zurückholt.

Markanter Ausdruck
Spucks Choreografie verleiht jeder Tanzrolle den passenden Ausdruck. Diese bewegen sich zwischen Klassik und Moderne. So flechtet er für den Nussknacker Motive aus dem Breakdance ein und lässt die Puppen gar eine Steppnummer tanzen.

Allen voran die Leistung von Dominik Slavkovský, der als Drosselmeier die Geschichte erzählt. Er zeigt sich mit seinem markanten Ausdruck meisterlich in der Rolle des magisch-manipulierenden Fädenziehers. Auch Mélissa Ligurgo versteht es, Frau Mauserinks besonderen Ausdruck zu verleihen. Für William Moore sind die drei Rollen, Drosselbarts Neffe, Nussknacker und Prinz nicht leicht zu verkörpern. Doch er tanzt sich souverän neben Giulia Tonelli, die mit mädchenhaftem Charme die Prinzessin Pirlipat verkörpert und bringt gar zuletzt als Prinz wahre Glanzleistungen zustande.

Insgesamt eine Vorstellung, an der es so viel zu sehen und zu staunen gibt, dass einem oftmals die Luft wegbleibt. Weshalb sich ein zweiter und dritter Besuch bestimmt lohnt.

Infos und Tickets

Marvin Joel Maggi und Carmela Maggi
15. Oktober 2017

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