Agrippina-Opernhaus Zürich | Oper und Kultur

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Agrippina-Opernhaus Zürich | Oper und Kultur

Agrippina - Opernhaus Zürich

Barockes Sex, Crime and Politics

Die mit einem Augenzwinkern inszenierte Oper "Agrippina" des Komponisten G.F.Händel feiert im Opernhaus Zürich eine auf allen Ebenen gelungene Premiere. Das kleine aber feine Bühnenteam, bestehend aus acht hochstehenden Sängerinnen und Sängern, zeigt ein durchtriebenes Verwirrspiel. So böse dessen Hintergrund mit Mord und Machtgier auch ist, verspricht der Abend ebenso viel Amüsement und einige Überraschungen. Das Orchestra La Scintilla bietet dabei unter der Leitung von Harry Bicket die barocke Grundlage für ein musikalisch, wie dramatisch inspiratives Bühnenwerk.

Venedig und die Komödianten
Nach "Rodrigo" übertraf der noch junge Barockkomponist Georg Friedrich Händel 1709 seinen Erfolg für das kulturverwöhnte Venedig mit einer neuen Uraufführung im heutigen Teatro Malimbran. Seine Oper "Agrippina", ausgestattet mit drei Counterstimmen (damaligen Kastraten), kommt mit wenigen Bühnenakteurinnen und -Akteuren und gänzlich ohne Chor aus. Am Opernhaus Zürich sind es genau gezählt acht. Plus fünf tapferen StatistInnen sind es dreizehn. Ein ungutes Omen für den Ausgang der Handlung.
Obwohl von zauberhaften Arien durchzogen, beherrschen rezitative Passagen das Werk. Mit seinem Verwirrspiel gleicht es Schaustücken wie "Il servitore di due padroni/Diener zweier Herren" mit traditionellen Masken wie Pantalone, Brighella, Arlecchino und Colombina aus der
"Commedia dell'arte". Und genauso bunt treiben es hier Männer wie Frauen. Spielen ein gefährliches Spiel der Intrigen und Verwicklungen. Dabei sind beide Seiten wenig zimperlich. Die Frauen noch weniger, da sie stets einen klaren Kopf bewahren.

Tatort Geschichte
Händel hat in seinem frühen Werk jede Figur phänomenal gezeichnet. So wie auch die Handlung, die pur und offen mit menschlichen Abgründen umgeht, indem sie Hintergründigkeit und Heuchelei durch den Einsatz von Humor schonungslos aufdeckt. Das macht es der Regisseurin Jetske Mijnssen leicht, die Geschichte mit grossem Augenzwinkern in die Gegenwart zu transportieren. Das grandios umgesetzte Libretto verspricht deshalb bei all den Bösartigkeiten, die sich die Geschlechter antun, Einiges an Amüsement über Sex, Crime and Politics.
Dabei achtet die Bühnengestaltung von Ben Baur, wie auch die Kostümierung von Anna Clark auf einen sanften Bogen zwischen Antike und Neuzeit, indem sie dem Stück eine ansprechend-arisokratische Grundlage zur Verfügung stellen.

Spezialisertes Orchester
Musikalisch untermalt wird das Bühnen-Treiben vom "Orchestra La Scintilla" unter der Leitung von Harry Bicket. Der Dirigent ist wiederholt in Häusern wie der Metropolitan Opera New York zu Gast. Er dirigiert aber auch in Chicago, Huston, Boston, Los Angeles und bei der Canadian Opera, so wie an den namhaften Adressen Europas wie Paris, London, München und Barcelona. Zu Händel fand Bicket während seiner Laufbahn erst spät, ist jedoch mittlerweile einer der spezialisiertesten Leiter der barocken Zunft.
Ebenso konzentrierte sich das
Orchestra La Scintilla am Opernhaus Zürich bereits für den Monteverdi-Zyklus auf die Vertonung alter Musik. Die Verwendung entsprechender Instrumente, wie das Cembalo vermittelt dazu das der Zeit angemessene Ambiente. Dank einer Höherstellung des Orchestergrabens erfährt das instrumentale Ensemble in dieser Produktion zusätzlich eine tragende Rolle durch mehr Sichtbarkeit und physische Nähe.

Der Wille zur Macht
Der Geschichte über die Crème de la Crème des Barock stehen die VokalistInnen in nichts nach. Die drei Counter
Jakub Józef Orliński, Christophe Dumaux und Alois Mühlbacher liefern sich nicht nur für die Umsetzung des Librettos einen kleinen Wettstreit auf Augenhöhe. Mit gewohnt voluminösem und präzise geführtem Sopran singt Jakub Józef Orliński als Ottone Händels Koloraturen und Triller zwischen verliebter Integrität und eingebildeter Siegessicherheit. Ebenso souverän und präzise überzeugte Christophe Dumaux als verwöhntes Söhnchen Nerone, dessen verführerische Umgarnungen sich bereits nach den ersten Tönen auf das Publikum zu überträgt. Dazwischen glänzt auch der vielversprechende junge Contralto Alois Mühlbacher als Narciso. Er bietet der hoffentlich bald verwitweten Agrippina in allen Lebenslagen vollen Einsatz, um sich den begehrten Platz an der Macht zu sichern.

Waffen der Frauen
Die Süditalienerin Anna Bonitatibus brilliert in ihrer Titelrolle als Überfliegerin, indem sie die schwierigsten Passagen mit klarer Leichtigkeit meistert. Ein Produkt gänzlicher Hingabe, gepaart mit harter Arbeit und langjähriger Erfahrung. In nichts steht ihr dabei die stimmlich und spielerisch gewandte Lea Desandre als Poppea nach. Als Bedienstete windet sie sich selbstsicher zwischen Liebe und Verlangen ihrer Anwärter wie eine Schlange hindurch und beisst im passenden Moment zu.
Als Opfer seiner eigenen Blindheit agiert Nahuel Di Pierro mit leichtfüssigem Bass als Herrscher Claudio, der zum Leid seiner angeheirateten Agrippina einen organisierten Giftanschlag überlebt. Als Pallante und Lesbo stimmen
José Coca Loza und Yannik Debus mit jugendlichen Bassstimmen ein. Von beiden Frauen genüsslich wie gefährlich um die eigene Nase geführt, buhlen auch sie mit vollem Körpereinsatz um die Macht.

Der begeisterte und ausgebuchte Saal beweist jedenfalls, dass die gleichermassen dramatische wie humorvolle Produktion auch Barockmuffeln und jüngeren Opern-Besucherinnen und -Besuchern einen leichten Zugang erlaubt.

Vorstellungen noch bis zum 30. März 2025
Infos und Tickets

Carmela Maggi, 3. März 2025
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